Modul 1 » Einschätzung der Unsicherheit

Wir haben nun die Entfernung zu M4 bestimmt, und können den ermittelten Wert in Parsec, Lichtjahren, oder Metern angeben. Wissenschaftlich wertvoll wird so eine Angabe aber erst, wenn wir uns auch mit der Unsicherheit beschäftigt haben.

Wie genau ist denn nun unser "Messung", wie groß könnte die Abweichung zum echten Wert sein?

Grade in der Astrophysik sind diese Unsicherheiten oft relativ hoch. Wenn die Entfernung einer Galaxie als "50 Millionen Lichtjahre" angegeben wird, ist nur eins sicher: die echte Entfernung beträgt garantiert nicht genau 50 Komma Null Millionen Lichtjahre! Aber vielleicht 48, 60, oder gar 75 Millionen Lichtjahre? Da es so kompliziert ist, die Entfernung einer Galaxie zu bestimmen, ist die Einschätzung der Unsicherheit umso wichtiger. Übrigens: bis vor gut 100 Jahren war es noch nicht klar, dass die sogenannten "Spiralnebel" am Himmel überhaupt andere Galaxien sind, und sich nicht innerhalb unserer eigenen Galaxie befinden! Es ist also schon eine beachtliche Leistung, wenigstens die Größenordnung der Entfernung einer Galaxie richtig zu bestimmen.

Wie beschreibt man eine Unsicherheit?

Es gibt zwei Arten, eine einfache Messunsicherheit niederzuschreiben. Nehmen wir an, wir messen eine Länge AA in der Einheit Centimeter. Wir könnten dann schreiben

A=5,0±0,1cm.A = 5{,}0 \pm 0{,}1 \,\mathrm{cm}.

Das ist die sogenannte "absolute" Schreibweise, denn die Unsicherheit (hier 0,1 cm) ist direkt als Wert in der gleichen Einheit wie der Messwert angegeben. Wir könnten diese gleiche Unsicherheit aber auch "relativ" angeben, und würden dann schreiben

A=5,0cm±2%.A = 5{,}0 \,\mathrm{cm} \pm 2\%.

Diese beiden Angaben sind tatsächlich gleichwertig, denn 2% von 5,0 cm entsprechen 0,1 cm.

Und was bedeutet nun so eine Unsicherheit?

Schauen wir uns ein Beispiel an. Laut aktuellem Stand der Wissenschaft beträgt das Alter des Universums 13.80±0.0213.80\pm0.02 Milliarden Jahre 1. Ist damit ein Alter von 13.83 Milliarden Jahren komplett ausgeschloßen?

Die Wissenschaftler*innen, die dieses Alter errechnet haben, geben in ihrer Publikation genau an, wie diese Unsicherheit von 0.02 Milliarden Jahren zu verstehen ist. Es handelt sich, vereinfacht gesagt, um eine Standardabweichung, also um eine typische Abweichung. Wie das Symbol ±\pm schon andeutet, kann die tatsächliche Abweichung positiv oder negativ sein. Wir beschreiben mit so einer Unsicherheit immer nur die "größe" einer typischen Abweichung, nicht die Richtung.

Es kommt in rund 30% der Fälle vor, das die eigentliche Abweichung größer als die Standardabweichung ist. Somit ist ein tatsächliches Alter von 13.83 Milliarden Jahren durchaus möglich, im Rahmen der angegebenen Unsicherheit. Das gleiche gilt natürlich auch für eine Abweichung in die andere Richtung, also z.B. ein tatsächliches Alter von 13.77 Milliarden Jahren.

Die Entfernung zu M4

Wir haben die Entfernung zu M4 aus der Parallaxe der Sterne des Kugelsternhaufens errechnet, also fangen wir mit der Unsicherheit dieser Parallaxe an. Kannst du einschätzen, wie unsicher du warst, als du diese Parallaxe bestimmt hast? Wäre eine Parallaxe von 0.45 Millibogensekunden auch möglich? Wo würdest du die unteren und oberen Schranken setzen? Schau dir das Diagramm mit den Parallaxen von M4 nochmal an, und schätze deine Unsicherheit ein.

Wahrscheinlich ist deine Unsicherheit für deine eigene Bestimmung der Parallaxe von M4 erstaunlich klein, vielleicht im Bereich von 0.02 Millibogensekunden. Aber bei der Einschätzung von Unsicherheiten muss immer alles hinterfragt werden. Wie unsicher sind die Werte der Parallaxen der einzelnen Sterne, die von Gaia vermessen wurden? Auch das kannst du im Diagram der Parallaxen von M4 ablesen, denn die Spalte e_Plx gibt genau diese Unsicherheit der Parallaxe der einzelnen Sterne an.

Leider ist auch das noch nicht das Ende vom Lied. Es ist noch eine weitere Unsicherheit im Spiel, die nicht so einfach den Gaia-Daten von M4 entnommen werden kann. Diese für uns sehr wichtige Unsicherheit betrifft die sogenannten systematischen Fehler von Gaia. Also Fehler (oder Abweichungen) die nicht für jeden Stern unterschiedlich sind, sondern die alle Sterne von M4 gleich betreffen. Diese Unsicherheit ist rund 0,1 Millibogensekunden groß. So könnte es zum Beispiel sein, dass sämtliche Gaia-Parallaxen dieser Region des Himmels um -0,07 mas verschoben sind. So ein Fehler verschwindet leider nicht beim Mitteln über viele Sterne. Da diese Unsicherheit von 0,1 mas erheblich größer ist, als die anderen besprochenen Unsicherheiten, können wir letztere ignorieren. Unsere Messung der Parallaxe von M4 ist also durch diese Unsicherheit von 0,1 mas begrenzt.

Wir haben nun also die Unsicherheit der Parallaxe von M4 bestimmt, und können somit die "untere" und "obere" Schranke der Parallaxe errechnen.

Kannst du daraus die Schranken der Entfernung bestimmen?

Wenn du diese Schranken errechnet hast, kannst du daraus auch die Unsicherheit unserer Entfernung zu M4 bestimmen. Denn die absolute Unsicherheit entspricht laut unserer Definition ja der Hälfte der Differenz zwischen den Schranken.

Abschließend möchten wir die Entfernung zu M4 mit einer relativen Unsicherheit angeben, da dies für die weiteren Module am nützlichsten ist. Schreibe also dein Endergebnis in folgender Form auf:

DM4=kpc±%.D_{\textrm{M4}} = \ldots \, \mathrm{kpc} \pm \ldots \,\%.

Referenzen

1.
^ Planck 2018 results. VI. Cosmological parameters. A&A 2018, arXiv:1807.06209.

Letzte Aktualisierung: 2021-01-26 23:42