Modul 1 » Parallaxen

Was bedeutet Parallaxe? Ganz allgemein, auch ausserhalb der Astronomie, beschreibt Parallaxe die scheinbare Verschiebung der Position eines nahen Objektes relativ zu Hintergrundobjekten wenn sich die Blickrichtung zu diesem nahen Objekt ändert. Diesen Effekt hat jeder schon mal beobachtet. Zum Beispiel "bewegt" sich ein Baum scheinbar vor Bergen am Horizont, wenn man an ihm vorbeiläuft. Je näher man dem Baum ist, desto mehr "bewegt" er sich relativ zu den Bergen, bei jedem Schritt. Oder anders gesagt: desto größer ist seine Parallaxe. Eine Parallaxe misst man immer als ein Winkel.

Wenn man nun die Parallaxe eines Baums nach einem Schritt misst, und die Schrittlänge kennt, lässt sich daraus die Entfernung des Baumes errechnen. Und das lässt sich tatsächlich auch mit Sternen machen. Vorausgesetzt, der "Schritt" ist lang genug, so dass die Parallaxe des Sterns auch beobachtet werden kann.

Sternparallaxen

Nahegelegene Sterne scheinen sich im Laufe des Jahres auf einer kleinen Ellipse relativ zu entfernten Hintergrundgalaxien zu bewegen. Der Grund dafür ist, dass die Erde innerhalb eines Jahres einen Umlauf um die Sonne macht. Dieses Phänomen können wir uns zunutze machen, um die Entfernung zu nahegelegenen Sternen zu berechnen. Unser "Schritt" entspricht hier also dem Radius RR der Erdumlaufbahn!

Diagramm zur Sternparallaxe
Parallaxenwinkel πp\pi_p eines nahen Sterns im Abstand DD aufgrund der Bewegung der Erde um die Sonne.

Abhängig von der Position des Sternes am Himmel ist die kleine Ellipse auf der er sich im Laufe des Jahres bewegt mehr oder weniger flach.

Ganz unabhängig von der Position auf der Himmelskugel ist der große Durchmesser dieser Ellipse für Sterne einer bestimmten Entfernung immer gleich. Die Parallaxe πp\pi_p eines Sterns entspricht der großen Halbachse der Ellipse, und kann also prinzipiell überall am Himmel gemessen werden.

Darstellung der Sternparallaxen am gesamten Himmel.
Auf dieser Karte des ganzen Himmels sind die Sternparallaxen als elliptische Bahnen eingezeichnet, die die Sterne im laufe eines Jahres am Himmel zu ziehen scheinen. Aber Achtung, diese Bahnen sind hier um einen Faktor 100000 vergrößert worden! Tatsächlich sind die echten Sternparallaxen so klein, dass es Aufwendig ist diese scheinbare Bewegung überhaupt zu messen. Das flache horizontale Band ist unsere Milchstraße, die sich – von innen betrachtet - über den ganzen Himmel zieht. Bildquelle: ESA/Gaia/DPAC, CC BY-SA 3.0 IGO

Von der Parallaxe zur Entfernung

Wir werden gleich zeigen, wie man aus dem Parallaxenwinkel πp\pi_p die Entfernung DD eines Sterns berechnen kann. Bevor wir zu dieser Herleitung kommen, nehmen wir das Ergebnis aber schon mal vorweg. Denn die Formel es verblüffend einfach. Sie lautet:

D[pc]=1πp[]D\,[\text{pc}]=\frac{1}{\pi_p\,['']}

Die Entfernung DD ist also einfach der Kehrwert des Parallaxenwinkels πp\pi_p, vorausgesetzt man verwendet die richtigen Einheiten. Dafür stehen die Symbole in den eckigen Klammern [ ]. Die Parallaxe muss in Bogensekunden (Symbol '') angegeben werden, und die Entfernung bekommt man dann in Parsec (pc\mathrm{pc}). Wenn eine Parallaxe einer Bogensekunde entspricht, ist die Entfernung genau ein Parsec. Diese Einheiten schauen wir uns nun erst mal an.

Herleitung

Wenn dir die trigonometrischen Funktionen und das Bogenmaß bekannt sind, kannst du den Zusammenhang zwischen Parallaxe und Entfernung sehr einfach herleiten.

Anhand der Skizze am Anfang dieser Seite können wir ablesen, dass:

tan(πp)=RD\tan\left(\pi_p\right)=\frac{R}{D}

Dabei ist πp\pi_p der Parallaxenwinkel, RR ist der Abstand zwischen Erde und Sonne (genauer: die große Halbachse der Erdumlaufbahn), und DD ist der zu bestimmende Abstand zum nahen Stern. Für kleine Winkel (wie Sternparallaxen immer sind, da DRD \gg R) gilt die Kleinwinkelnäherung:

tan(πp)πp\tan\left(\pi_p\right)\approx\pi_p

Diese Formel ist nur gültig, wenn der Winkel πp\pi_p in Radiant (also "im Bogenmaß") angegeben wird. Damit erhalten wir

πp[rad]=RDD=R1πp[rad]\pi_p\,[\text{rad}]=\frac{R}{D} \qquad \Rightarrow \qquad D= R \, \frac{1}{\pi_p\,[\text{rad}]}

Dabei ist RR für alle Sterne gleich, es ist praktisch nur eine Proportionalitätskonstante. Somit haben wir gezeigt, dass DD proportional zum Kehrwert von πp\pi_p ist. Diese Formel ist allgemein gültig, solange πp\pi_p in Radiant ist. Wenn man also z.B. RR in Metern einsetzt, bekommt man natürlich auch DD in Metern raus. Die Längenmaßeinheit Parsec wurde nun so definiert, dass 1 pc einer Parallaxe von einer Bogensekunde entspricht. In diesen ganz bestimmten Einheiten fällt RR also einfach weg, und es ergibt sich das oben vorgestellte Ergebnis D[pc]=1/(πp[])D\,[\text{pc}]=1 / (\pi_p\,['']).

Wir können jetzt noch die Länge eines Parsecs in Metern errechnen. Dafür setzen wir einen Parallaxenwinkel von einer Bogensekunde

πp=1=(13600)=(13600)2π360  rad4,85106  rad\pi_p=1''= \left(\frac{1}{3600}\right)^\circ = \left(\frac{1}{3600}\right)\cdot\frac{2\pi}{360}\;\text{rad}\approx 4{,}85\cdot 10^{-6}\;\text{rad}

und den Wert von RR

R1,51011mR \approx 1{,}5\cdot 10^{11}\,\mathrm{m}

in die allgemeine Formel ein. Wir erhalten:

D=1,51011m14,85106  rad3,091016mD = 1{,}5\cdot 10^{11}\,\mathrm{m} \, \frac{1}{4{,}85\cdot 10^{-6}\;\text{rad}} \approx 3{,}09\cdot 10^{16}\,\mathrm{m}

Dem entspricht also per Definition das Längenmaß von einem Parsec.


Letzte Aktualisierung: 2021-01-18 14:47