Galaxienhaufen sind die größten gravitativ gebundenen Objekte im Universum, die bisher kollabiert und zumindest teilweise in einen Gleichgewichtszustand gelangt sind. Dies macht sie zu idealen kosmologischen Testobjekten, da sie sehr massiv sind und ihre Masse prinzipiell mit verschiedenen Methoden bestimmt werden kann.
Galaxienhaufen sind aus den Maxima großräumiger Dichtefluktuationen der Frühphase des Universums entstanden. Diese Dichtefluktuationen wachsen aufgrund der Gravitation mit der Zeit. Kleine Dichteschwankungen (Rauschen) sind den groß räumigen überlagert. Wird ein Schwellenwert für die Dichte überschritten, kollabiert die Region unter ihrer eigenen Schwerkraft. Man geht heute davon aus, daß zuerst kleine Objekte, wie die Kerne von Galaxien, entstanden sind, und sich nach und nach immer größere Objekte bildeten, z. B. [SZALAY 1987].
Ziel dieser Arbeit ist es, eine homogene Studie der Eigenschaften von Galaxienhaufen an einer Auswahl relativ naher Haufen anhand von Röntgendaten durchzuführen. Die Röntgenstrahlung wird von heiß em intergalaktischem Gas emittiert. Dieses Gas ist die massesreichste sichtbare Komponente eines Galaxienhaufens (Beschreibung des Gases in Abschnitt 2.1.2). Es werden dabei insbesondere der Röntgenfluß, die Röntgenleuchtkraft, das Gasmassenprofil und die gesamte gravitative Masse bestimmt und für alle Haufen die Gastemperatur angegeben.
Von besonderem Interesse sind die Beziehungen der unterschiedlichen internen Parameter zueinander. Durch das Aufstellen von Relationen erhält man Abhängigkeiten, die durch Theorien zur Beschreibung des Zustands und der Entwicklung von Galaxienhaufen erklärt werden müssen. Mögliche systematische Abweichungen können auf weitere physikalisch bedeutsame Prozesse hinweisen.
Unabhängig von der dahinterstehenden Physik haben Relationen sehr nützliche praktische Aspekte. Sind die Relationen mit einer genügend großen Zahl von Objekten aufgestellt worden und ist ihre Streuung gering, dann können sie auf andere Haufen angewendet werden. Konkret bedeutet dies, daß aus der Kenntnis eines Parameters andere erschlossen werden können.
Die Leuchtkraft ist eine vergleichsweise leicht und robust bestimmbare
Größe. Sie wird bei großen Durchmusterungen oft als einziger
interner Parameter angegeben. Es wurden einige homogene
Durchmusterungen vor kurzem veröffentlicht bzw. sind in
Vorbereitung, die die Leuchtkräfte einer
Vielzahl von Haufen angeben,
z. B. BCS: [EBELING et al. 1998],
REFLEX:
(Böhringer et al. in
Vorb.)
.
Innerhalb der nächsten ein bis zwei Jahre, unter der vollen
Ausnutzung der ROSAT-Himmelsdurchmusterung, werden Leuchtkräfte für
Haufen zur Verfügung stehen.
Eine verläßliche individuelle Massenbestimmung ist dagegen relativ aufwendig und es sind Daten hoher Qualität benötigt. Die Massen von Galaxienhaufen sind jedoch kosmologisch gesehen die Parameter mit der größten Relevanz. Fundamentale kosmologische Parameter, wie z. B. die mittlere Gesamtdichte des Universums, können durch die Kenntnis der Massenverteilung von Galaxienhaufen eingegrenzt werden.
Eine an einer mittelgroßen Auswahl von Galaxienhaufen verläßlich bestimmte Relation zwischen der Leuchtkraft und der Masse von Galaxienhaufen kann, angewendet auf Galaxienhaufen einer großen Durchmusterung, die Zahl der Galaxienhaufen mit bekannter Masse um mehr als eine Größenordnung steigern.
Von mehreren Autoren wurden bisher Relationen zwischen der Leuchtkraft
und der Gastemperatur aufgestellt, z. B. [HENRY & ARNAUD 1991] und
[MARKEVITCH 1998]. Empirische Relationen der Leuchtkraft oder Gastemperatur
mit der Gasmasse oder der
Gesamtmasse sind bisher nicht veröffentlicht worden. Um dennoch mit
Kenntnis der Temperatur Aussagen über die Massenverteilung machen
zu können sind bisher unterschiedliche theoretisch motivierte
Abhängigkeiten benutzt worden, z. B. [BAHCALL & CEN 1993, ,] und [HENRY & ARNAUD 1991,
,].
In dieser Arbeit wird die Leuchtkraft-Temperatur Relation aufgestellt und mit bisher veröffentlichten Relationen verglichen. Darüberhinaus werden erstmals empirisch bestimmte Relationen zwischen der Temperatur und der Gasmasse, sowie zwischen der Temperatur und der Gesamtmasse angegeben. Die Relationen mit der breitesten und bedeutensten Anwendungsmöglichkeit sind jedoch die Leuchtkraft-Gasmasse bzw. die Leuchtkraft-Gesamtmasse Relation. Die Leuchtkraft sowie die Gas- und Gesamtmasse werden in dieser Arbeit mit denselben Datensätzen bestimmt und erstmals Relationen abgeleitet.
Um Aussagen über die Verteilung von Galaxienhaufen im Raum in bezug auf interne Parameter treffen zu können, ist es wichtig eine Stichprobe hoher Vollständigkeit zu untersuchen, da hierbei die absolute Anzahl von Galaxienhaufen pro Volumen benötigt wird. Die am leichtesten zu erstellende Verteilungsfunktion ist die Leuchtkraftfunktion. Diese wurde für verschiedene maximale Rotverschiebungen und mit Daten verschiedener Satelliten bestimmt, z. B. [GIOIA et al. 1990, (1),], [HENRY et al. 1992, (2),] und [EBELING et al. 1997, (3),] und auf Entwicklungseffekte untersucht. Dazu wurde die Leuchtkraftfunktion jeweils in unterschiedliche Rotverschiebungsintervalle unterteilt und die Leuchtkraftfunktionen dieser Intervalle dann verglichen. In (1) und (2) wurden Hinweise darauf gefunden, daß es früher weniger leuchtkräftige Haufen gab als heute, in (3) nicht. Als Referenz für das lokale Universum wird in der vorliegenden Arbeit eine Leuchtkraftfunktion für eine Stichprobe hoher Vollständigkeit für nahe Haufen aufgestellt, mit der zwei Drittel der Gesamtfläche des Himmels abgedeckt werden. Durch einen Vergleich dieser Leuchtkraftfunktion mit Leuchtkraftfunktionen weiter entfernter Haufen kann auch getestet werden, ob es eine Rotverschiebungsgrenze gibt, ab der die Leuchtkraft-Masse Relation wegen möglicher Entwicklungseffekte korrigiert werden muß.
Die Form und Amplitude des Dichtefluktuationsspektrums liefert eine direkte Information über den Anfangszustand und die Entwicklung des Universums. Die Form kann im Prinzip theoretisch vorhergesagt werden, ist jedoch modellabhängig. Die Normierung hingegen muß\ aus Beobachtungen stammen [WHITE et al. 1993a]. Eine Möglichkeit diese Normierung durchzuführen bietet die Massenfunktion für Galaxienhaufen, also die Anzahldichte von Galaxienhaufen in bestimmten Massenintervallen. Im einzelnen wird dabei die Massenfunktion mit Ergebnissen analytischer Methoden, z. B. mit dem Ansatz von [PRESS & SCHECHTER 1974], oder mit numerischen Simulationen verglichen. Diese Vergleiche liefern darüberhinaus Beschränkungen für wichtige kosmologische Parameter, wie z. B. die mittlere Gesamtdichte.
Der Gleichgewichtszustand in dem sich die meisten Galaxienhaufen
bis zu einem bestimmten Radius befinden, ermöglicht die Anwendung
verschiedener Methoden
zur Bestimmung der Massen von Galaxienhaufen
(Abschnitt 2.1.3).
Aus diesen Gründen wird seit einiger Zeit versucht, eine
Massenfunktion für Galaxienhaufen aufzustellen. Ein Ansatz wurde
z. B.
von [HENRY & ARNAUD 1991] über die Temperaturfunktion des Intrahaufengases
gemacht. [BAHCALL & CEN 1993]
benutzten eine Reichhaltigkeit-Masse Relation
und bekannte
Geschwindigkeitsdispersionen der Galaxien in Haufen im optischen
Bereich, sowie eine
Gastemperatur-Masse Relation im Röntgenbereich, um die Massen
von Galaxienhaufen zu bestimmen. [BIVIANO et al. 1993] benutzten die
Geschwindigkeitsdispersion der Galaxien in Haufen und den Virialsatz,
um die Massen einer optisch ausgewählten Stichprobe zu bestimmen.
[GIRARDI et al. 1998a] haben Geschwindigkeitsdispersionen für
Haufengalaxien aus Literaturangaben zusammengestellt und eine
Massenfunktion erstellt. Eine Gasmassenfunktion für optisch
ausgewählte arme Haufen und Abell-Haufen wurde von [BURNS et al. 1996]
aufgestellt. Sie bestimmten die Gasmassen mit Hilfe von Daten der
ROSAT-Himmelsdurchmusterung.
In dieser Arbeit wird die Gasmassen- und Gesamtmassenfunktion einer homogen zusammengestellten, röntgenflußbegrenzten Stichprobe von Galaxienhaufen unserer näheren Umgebung aufgestellt. Dabei werden die Massen nicht wie in den angegebenen früheren Veröffentlichungen aus einem oder wenigen globalen Parametern, sondern aus einer detaillierten Analyse der Röntgenbilder der Haufen, meist pointierten ROSAT-Beobachtungen langer Belichtungszeit, bestimmt.
Das Standardmodell des Urknalls, mit einer mittleren Gesamtdichte die
der kritischen Dichte entspricht, zusammen mit dem Standardmodell der
Elemententstehung, sagt einen
Anteil der Baryonendichte an der kritischen Dichte des Universums von
voraus. Bisherige Messungen an Galaxienhaufen ergeben jedoch einen
vielfach höheren Anteil der Gasmasse an der Gesamtmasse. Unter der
Annahme, daß Galaxienhaufen repräsentativ für die
Materieverteilung im Universum sind, führt dies zu einem Konflikt,
z. B. [BRIEL et al. 1992], [WHITE et al. 1993b] und
[BöHRINGER 1993]. Mit den in dieser Arbeit bestimmten Gas- und Gesamtmassen
wird an einer großen Anzahl von Haufen der Gasanteil
überprüft. Ebenfalls werden vorangegangene Messungen an kleineren
Stichproben überprüft, die eine Abhängigkeit des Gasanteils von
der Masse zeigen, z. B. [DAVID et al. 1995].
Die Arbeit ist wie folgt aufgebaut: In Kap. 2 werden eine Einführung in die Physik von Galaxienhaufen und die theoretischen Grundlagen zur Bestimmung von Gasmasse und Gesamtmasse gegeben. Desweiteren werden die benötigten kosmologischen Gleichungen und das benutzte Meßinstrument (ROSAT) vorgestellt. In Kap. 3 wird der Auswahlprozeß der Galaxienhaufen beschrieben und die Ergebnisse angegeben. In Kap. 4 werden die einzelnen Schritte der Datenanalyse detailliert erläutert und die Ergebnisse dargestellt. Die Bestimmung der (Gas-) Massen und die Fehlerbetrachtung erfolgt in Kap. 5. Die Ergebnisse der statistischen Untersuchungen an der Stichprobe der Galaxienhaufen werden in Kap. 6 diskutiert. Zum Schluß (Kap. 7) wird eine Zusammenfassung geliefert.