Die sichtbare Materie reicht nicht aus, um das Gas und die Galaxien im Haufen zu halten. D. h., wenn die Einsteinschen Feldgleichungen bzw. die Newtonschen Näherungen korrekt sind, muß es zusätzliche nicht sichtbare Materie geben. Die dunkle Materie macht sich nur durch ihre Gravitationswechselwirkung bemerkbar. Über die Natur dieser dunklen Materie wird seit vielen Jahren diskutiert. Es gibt eine Reihe von guten Kandidaten, wie zum Beispiel massive Neutrinos (kürzlich bestärkt durch die weitere Bestätigung der Existenz des atmosphärischen Neutrinoproblems und dessen Erklärung durch Neutrinooszillationen, z. B. [THE-SUPER-KAMIOKANDE-COLLABORATION 1998], [LIU et al. 1998]) und Axionen, oder aber baryonische Materie in kompakter, nichtleuchtender Form. Eine mögliche Methode zur Berechnung der totalen gravitativen Masse (Gesamtmasse) eines Galaxienhaufens wird jetzt vorgestellt. Die Potentialtiefe stellt ebenfalls ein gutes Maß zur Charakterisierung eines Galaxienhaufens dar.
Die Gasdichteverteilung spiegelt die Form des Potentials und somit die Gesamtmassenstruktur wider. Je höher die Temperatur des Gases ist, desto größer ist der Druck und desto größer muß die entgegengesetzt wirkende Gravitation sein, falls diese das Gas bindet. Qualitativ erwartet man also eine Abhängigkeit der Gesamtmasse von der Gasdichteverteilung und der Gastemperatur. Mit der hydrostatischen Gleichung (2.2) und der idealen Gasgleichung
folgt
Die Einflüsse möglicher Magnetfelder
wurden vernachlässigt. Man
beachte die Abhängigkeit der Gesamtmasse innerhalb
des Radius r von der Dichte- und Temperaturverteilung,
sowie der Temperatur. Daß die Annahmen der Kugelsymmetrie und des
hydrostatischen Gleichgewichts gerechtfertigt sind, kann man sich
folgermaßen klar machen. Für die Schallgeschwindigkeit
im IHG gilt
[SARAZIN 1986, Abschnitt V. E.,]. Die Zeit, die eine Schallwelle zum Durchqueren
eines Haufens benötigt, ist daher klein im Vergleich zur Kühlzeit,
hervorgerufen durch
thermische Strahlung, und aller vorgeschlagenen Heizprozesse
[SARAZIN 1986, Abschnitt V. C.,] , sowie zum Alter des Haufens
( ). D. h. selbst nach einer schwerwiegenden
Störung des Gleichgewichts im Haufen, z. B. durch ein Verschmelzen
mit einem anderen Haufen, stellt sich relativ bald wieder ein
Gleichgewichtszustand ein. Um dies auch quantitativ zu beschreiben und
den Einfluß durch Abweichungen von Kugelsymmetrie zu
untersuchen, wurden N-Körper-/hydrodynamische Simulationen
durchgeführt. [SCHINDLER 1996] und
[EVRARD et al. 1996] kommen unabhängig voneinander zu dem Ergebnis, daß\
Abweichungen von den genannten Annahmen nicht zu großen Fehlern
(
) in der Massenbestimmung führen, solange extreme
Abweichungen vermieden werden.
Andere Methoden zur Gesamtmassenbestimmung benutzen z. B. die Geschwindigkeitsdispersion der Galaxien und den Virialsatz, z. B.\ [ZWICKY 1933], oder die relativistische Ablenkung und Verstärkung der Lichtstrahlen von Hintergrundsgalaxien im Schwerefeld der Galaxienhaufen, z. B. [LYNDS & PETROSIAN 1986], Übersichtsartikel z. B. [FORT & MELLIER 1994] und [NARAYAN & BARTELMANN 1997]. Mit Hilfe dieser Gravitationslinsen-Modelle wurden in der letzten Dekade die Massen von einigen Haufen bestimmt. Vergleiche mit Massenbestimmungen aus Röntgenbeobachtungen liefern bisher unterschiedliche Ergebnisse. Bei den Galaxienhaufen Abell 2218 [LOEB & MAO 1994] und Abell 1689 [MIRALDA-ESCUDé & BABUL 1995] liegen die Massen, bestimmt mit dem Linseneffekt, um einen Faktor 2-2.5 höher, als die Massen bestimmt aus Röntgenbeobachtungen. Bei den Haufen PKS 0745 [ALLEN et al. 1996] und Abell 2390 [BöHRINGER et al. 1998] werden gute Übereinstimmungen gemessen. Mit der Massenbestimmung durch den schwachen Linseneffekt findet [NEUMANN 1997] innerhalb der Fehlergrenzen für die Haufen Cl0016+16, 3C 295, Abell 2218 und Abell 2163 gute Übereinstimmungen.