Wie fern ist der Stern?
    Wie bestimmen Astronomen Entfernungen?

Astronomen berichten hemmungslos über gigantische Entfernungen und über die riesigen Dimensionen des Universums. Wie sieht deren Zollstock aus? Wie kommen Astronomen dazu, mit großer Sicherheit über solche Entfernungen zu sprechen?

Klaas S. de Boer     Argelander Institut für Astronomie, Univ. Bonn

Galilei und die Parallaxe

Galileo entdeckte 1609 die großen Monde von Jupiter, sowie die Tatsache, dass sie Jupiter in einem regelmäßigen Rhythmus umrunden. Dies gab einen riesigen Anschub für die Vorstellung, dass die Erde um die Sonne kreist (und nicht umgekehrt) und dass die Sonne im Zentrum des Planetensystems steht. (Diese Entdeckung mit dem gerade entwickelten Teleskop war der Grund, 2009 zum Jahr der Astronomie auszurufen.)

Mit der Sonne im Zentrum und der Erde auf ihrer Umlaufbahn wird ein Stern, von der Erde aus gesehen, im Laufe des Jahres in unterschiedlicher Richtung zu finden sein. Das eröffnet die Möglichkeit, die bei der Landvermessung benutzte Methode zur geometrischen Bestimmung der Entfernung eines Objekts einzusetzen. Man peilt ein Objekt an, stellt die Richtung fest, bewegt sich über eine genau messbare Entfernung weiter, peilt das Objekt mit seiner nun anderen Richtung noch einmal an, und benutzt die Geometrie des Dreiecks um die Entfernung zu berechnen. Diese ist die Methode zur Bestimmung der parallaktischen Entfernung.

Sterne sind sehr weit entfernt, so weit, dass es nach Galileo noch über 200 Jahre dauerte, bis mit der parallaktischen Methode die Entfernung eines Sterns bestimmt werden konnte. Das Problem ist folgender Art.

Entfernungsbestimmung mit der halbjährlichen Parallaxe. Die Positionsänderung eines nahen Sterns wird gegen die weit entfernten Sterne im Hintergrund messbar (Winkel 2p). Die für die Berechnung notwendige Entfernung Erde-Sonne wurde aus den Bewegungen innerhalb des Sonnensytems bestimmt. Eine halbjährliche Verlagerung p um eine Bogensekunde bedeutet eine Entfernung von 1 pc (pc = parsec = Parallax-Sekunde), um 1/10 Bogensekunde bedeutet 10 pc (um so kleiner die Verlagerung, um so größer ist die Entfernung). Im Verhältnis sind die Sonne, die Erde und die Erdbahn viel zu groß dargestellt. © Bild: Autor.

Die durch den Erdumlauf erzeugte Änderung der Richtung des Sterns ist so klein, dass es mit den damaligen Teleskopen überhaupt nicht möglich war, diese kleine Änderung zu bestimmen. Um 1836 klappte es dann. Aber der Nachschub an so vermessenen Sternen kam sehr langsam. Um 1880 waren es nur 12 Sterne! Man kann eben vorab nicht wissen, welcher Stern für die erfolgreiche Anwendung dieser Methode nah genug ist. Seit dem Einsatz der Photoplatte (und seit den 1980er das CCD) wird systematisch gesucht um die sehr kleinen halbjährlichen Positionsänderungen aus dem Vergleich der ein halbes Jahr auseinander liegenden Aufnahmen zu finden.

Die parallaktische Bestimmung der Entfernung ist eine schöne Methode. Aber mit der mühseligen Arbeit wurden nur zögerlich Ergebnisse erzielt. Und so schloss man, dass die Mehrzahl der Sterne eine viel zu große Entfernung zur Verwendung der parallaktischen Methode haben. Was nun?

Entfernungen mit Hilfe des Hertzsprung-Russell-Diagramms

Um 1900 waren für ausreichend viele Sterne parallaktische Entfernungen bekannt um die Sterne sinnvoll untereinander zu vergleichen. Dies lieferte ein elegantes Diagramm, mit dessen Namen die dabei wichtigen Forscher geehrt wurden: das "Hertzsprung-Russell-Diagramm" (HRD). In dem Diagramm wird die Menge des empfangenen Lichts, korrigiert für die Entfernung des Sterns, gegen dem Spektraltyps (aus einem Spektrum abzulesen) des Sterns aufgetragen. Mit dem HRD wurde eine eindeutige Anordnung der möglichen Sterneigenschaften (Lichtmenge und Oberflächenbeschaffenheit) sichtbar.

Sterne haben also genau definierbare Eigenschaften. Insbesondere senden Sterne irgendeines Typs immer die gleiche Lichtmenge aus. Wenn man den Typ (mit Hilfe von Spektren) erkennen kann, dann ist genau bekannt, wieviel Licht man von dem Stern bekommen müsste. Sieht man weniger, so ist der Stern weiter entfernt als sein Referenzobjekt, und umgekehrt. Dieser Erkenntnis bildet die Basis aller astronomischen Methoden zur Bestimmung der Entfernungen.

Variable Sterne

Nun machen wir einen Sprung. Wir gehen zu einer der bekannten Begleitgalaxien der Milchstraße, die "Große Magellansche Wolke".

Die Große Magellansche Wolke (GMW), eine kleine, nahe Begleitgalaxie der Milchstraße.     Sie enthält auch die variablen Sterne des Typs "Cepheide". Deren regelmäßiger Lichtwechsel konnte hier, wegen der auf anderen Wegen gut bestimmbaren Entfernung der GMW, gut geeicht werden und ist seitdem die Basis für die "Zollstöcke" des Universum. © Bild: Bob van Slooten.

Alle Objekte dieser kleinen Galaxie sind (im wesentlichen) in der gleichen Entfernung von uns. Das ist schön, da man nun alle Objekte der Galaxie unmittelbar unter einander vergleichen kann um die Einteilung der Sterne des Hertzsprung-Russell-Diagramms in Typen zu testen.
In der Praxis der Astronomie führte dies zu einer Verbesserung aller Eichmethoden. Die veränderliche Sterne in der GMW, insbesondere die des regelmäßigen Typs "Cepheiden", zeigten eine sehr schöne Abhängigkeit der Periode von deren ausgestrahlter Lichtmenge. Um so länger die Periode, um so größer ist die Lichtmenge. Damit hatte man eine sogenannte "Standardkerze" entdeckt.

Das Hubble Teleskop

Hubble hatte (mit anderen) um 1920 gesehen, dass weit entfernte Galaxien sich schnell von uns weg bewegen. Und zwar um so ferner die Galaxien sind, um so schneller. Diese Erkenntnis verdankte er der (damals nur sehr ungenau) bekannten abgestrahlten Lichtmenge der Cepheiden, die er zur Abschätzung der Entfernungen einsetzte. Mit den Cepheiden in der GMW konnte nun die früher von Hubble abgeleitete Expansionsrate des Universums kräftig verbessert werden.

Eine der Hauptziele der Messungen mit dem Hubble Teleskop war, ohne lästige Erdatmospähre weit entlegene Galaxien zu erkunden um Cepheiden aufzudecken. Deren genaue Vermessung sollte unmittelbar zu der Bestimmung der Entfernungen dieser Galaxien führen. Mit den Daten sollte die Bestimmung der von Hubble nachgewiesenen Expansion des Universums verifiziert und genauer geklärt werden. Das Projekt wurde zu einem riesigen Erfolg. Die Expansionsrate wurde schliesslich bestimmt auf 71 km/s /Mpc und daraus folgte (an Hand von Modellen) das Alter des Universums mit 14 Milliarden Jahre.

Mit der Eichung der Entfernung dieser Galaxien konnte nun eine Reihe weiterer Methoden überprüft und verbessert werden. Dazu gehören die Bestimmung der Entfernungen aus der Helligkeit der Zentralsterne der Planetarischen Nebel, aus Supernovae des Typs Ia und aus Radiomessungen an weit entfernten Spiralgalaxien.

Spiralgalaxien

Galaxien mit Spiralarmen enthalten viel Gas. Dieses Gas leuchtet bei 21 cm (die spezielle Emissionslinie des Wasserstoffs). Für Spiralgalaxien wurde eine besondere Beziehung zwischen der Rotationsgeschwindigkeit und der Menge des von der Galaxie abgestrahlten Lichts entdeckt. Der Zusammenhang basiert auf folgender Logik.

Die Breite der 21 cm Emissionslinie geht auf die Rotationsgeschwindigleit der Galaxie zurück. Sie ist von der Masse der Galaxie abhängig,

Das Objekt NGC 6118 zeigt alle Merkmale der Spiralgalaxien.
Mit Hilfe der von Radioteleskopen gemessenen 21 cm Strahlung lässt sich das Rotationsverhalten und somit die Masse der Galaxie ableiten. Und die Masse bestimmt weitgehend die abgestrahlte Lichtmenge.
© Bild: ESO

die Masse ist wiederum proportional zu der Menge an Sternen und die Menge der Sterne bestimmt die Menge des abgestrahlten Lichts. Die Relation wird nach den Entdeckern die "Tully-Fischer-Relation" genannt.

Misst man nun mit Hilfe eines Radioteleskops von einer weit entlegenen Spiralgalaxie die Rotationsgeschwindigkeit, so sagt die genannte Relation vorher, wieviel Licht man sehen sollte. Um so weniger Licht man sieht, um so weiter ist die Galaxie von uns entfernt. Auf diese Art können die Entfernungen der Spiralgalxien bestimmt werden, zwar nicht sehr genau, aber immerhin, und ohne Cepheiden erkennen zu müssen.

Supernovae des Typs Ia

Eine spezielle Gruppe der Objekte, dessen Eichung erfolgte, waren die Supernovae des Typs Ia. Diese sind die Explosionen massearmer Sterne in Doppelsternsystemen.

Bei der Entwicklung der Sterne des Pärchens kommt es zu Austausch von Materie. Wenn dabei der kleine, ausgediente Stern Materie zugeschoben bekommt, so kann seine innere Struktur die aufgeschütete Materie kaum tragen, das Innere wird stark verdichtet und sehr heiss. So kommt es im kritischen Zeitpunkt zu einer sekundenschnellen, um sich greifenden Form von Kernfusion. Dass Innere expandiert dadurch derart rasant, dass der Stern komplett explodiert. Der Stern wird zur Supernova. Wegen den Merkmalen der weggeschleuderten äusseren Hülle heist so eine Supernova "Typ Ia". Da die Explosion wohl immer unter gleichen Bedingungen ausgelöst wird (gleiche Masse des explodierenden Objekts) erwartet man, dass die bei der Explosion abgestrahlte Lichtmenge solcher Supernovae gleich ist. Daher bilden die Supernovae des Typ Ia, wie die Cepheiden, ebenfalls eine "Standardkerze".

 

Sterne entwicklen sich am Ende ihres Lebens zu roten Riesen. Ein roter Riese verliert Materie seiner nur lose gebundenen Hülle an die Umgebung. In Doppelsternsystemen wird die verlorene Materie zum Teil auf den Begleitstern übertragen. Der Begleitstern wird sich nun, wegen der zugenommenen Masse, schneller entwicklen.
In einem Wechselgeschäft zwischen zwei Sternen mit Anfangsmassen von 1 und 3 Sonnenmassen entsteht so ein Restobjekt, das keine Kernfusion mehr hat. Es kühlt ganz langsam aus. Wird aber wegen der Ausdehnung des Begleisterns wieder Masse übertragen, so kann der tote Stern bei Überschreitung der Massengrenze von 1.4 Sonnenmassen diese aufgenommene Materie nicht tragen, sein Inneres schrumpft immer weiter und wird dabei so heiss, dass es explosionsartig zu Kernfusion kommt. Und zwar so stark dass der Stern komplett auseinander und fliegt und so zu Supernova des Typs Ia wird.
© Bild: Autor.

Beschleunigte Expansion des Universums?

Die Verwendung der SN Ia zur Bestimmung der Entfernung weit entlegener Galaxien erlaubt eine Überprüfung der Relation der Expansion des Universums in großer Entfernung. Das bedeutet gleichzeitig eine Überprüfung der Expansionrate der grauen Vergangenheit. Man stellte fest, dass das die Daten im sogenannten Hubble-Diagram (siehe "Wie konte Hubble zeigen....") nicht eine lineare Beziehung von Entfernung und Fluchtgeschwindigkeit zeigen. Man hat daraus geschlossen, dass das Universum früher wohl langsamer expandierte, oder dass eben heute die Expansion beschleunigt ist.

Die Zuverlässigkeit dieses Ergebnisses hängt natürlich von der Qualität des Zollstocks ab. Ist der Stock gut, so stimmt die Vorstellung der beschleunigten Expansion. Ist er nicht so gut, wurden die Daten zu großzügig ausgelegt. Da eine Beschleunigung der Expansion mit normalen Modellen für das Universum nicht erklärbar ist, wird die sogenannte "Dunkle Energie" postuliert, die für das verstärkte Auseinandertreiben sorgen soll. Viele Forscher zweifeln an diesem Ergebnis. Zweifel bestehen vor allem an der Zuverlässigkeit der Messungen der Helligkeit der SN Typ 1a sowie an der Verwendung zur Bestimmung der Entfernung. So gibt es Hinweise auf die Möglichkeit, dass die Masse bei der Explosion des Reststerns größer als 1.4 Sonnenmassen sein kann, sodass die Supernovae des Typ Ia (leider) keine Standardkerzen wären.

Es ist, wie es fast immer in der Forschung läuft. Bessere Messgeräte (hier Teleskope) und bessere Modelle (für die Eigenschaften der Supernovae Typ Ia; für die Struktur und Expansion des Universums) sollen zur Klärung der Fragen führen.


Texte in Ergänzung zu den Fragen der Entfernungsbestimmung:
Das HRD und das Maß der Sterne
Entschlüsselung der großräumigen Struktur unserer Galaxis
Wie konnte HUBBLE zeigen, dass das Universum expandiert?

2019.03.03     Erste Fassung: 2009.12.14     In angepasster Form auch veröffentlicht in Welt der Physik