eROSITA: Der Röntgenhimmel offenbart sich für die Welt

Konsortium mit Bonner Beteiligung macht den bisher größten Katalog hochenergetischer kosmischer Quellen öffentlich 

Das deutsche eROSITA-Konsortium hat heute die Daten seines Anteils an der ersten Himmelsdurchmusterung durch das Röntgenteleskop an Bord des Spectrum-Roentgen-Gamma (SRG) Satelliten veröffentlicht. Der erste eROSITA-All-Sky-Survey (eRASS1) ist mit rund 900.000 verschiedenen Quellen der größte jemals veröffentlichte Röntgenkatalog. Zusammen mit den Daten publizierte das Konsortium heute mehr als 40 wissenschaftliche Arbeiten, die Entdeckungen beschreiben, die von neuen Strukturen in unserer eigenen Milchstraße bis hin zu Quasaren in der Frühzeit des Kosmos reichen. In den ersten sechs Monaten der Beobachtungen hat eROSITA bereits mehr Quellen entdeckt, als in der 60-jährigen Geschichte der Röntgenastronomie bisher bekannt waren. Die Daten, die nun der weltweiten Wissenschaftsgemeinschaft zur Verfügung stehen, werden unser Wissen über das hochenergetische Universum revolutionieren.

Das eROSITA Weltraumteleskop startete am 13. Juli 2019 von Baikonur aus auf einer Proton-M Trägerrakete ins All. Da die Erdatmosphäre die hochenergetischen Röntgenstrahlen vollständig absorbiert sind diese Beobachtungen nur so möglich. Die Daten, die nun veröffentlich wurden, entsprechen den ersten von mehreren Himmelsdurchmusterung mit dem eROSITA-Teleskop. Im empfindlichsten Energiebereich der eROSITA-Detektoren erfasste das Teleskop in dieser Zeit 170 Millionen Röntgenphotonen, für die die Kameras die eingehende Energie und die Ankunftszeit genau messen können.  

Der eRASS1-Katalog deckt die Hälfte des Himmels ab und ist der Datenanteil des deutschen eROSITA-Konsortiums. Er umfasst mehr als 900 000 Quellen, von etwa 710 000 massereichen schwarzen Löchern in fernen Galaxien (aktive galaktische Kerne) über 180 000 Röntgensterne in unserer eigenen Milchstraße und 12 000 Galaxienhaufen und einer kleinen Anzahl anderer exotischer Quellen wie röntgenstrahlende Doppelsterne, Supernova-Überreste, Pulsare und andere Objekte. 

“Das sind überwältigende Zahlen für die Röntgenastronomie”, sagt Andrea Merloni, leitender Forscher bei eROSITA und Erstautor des eROSITA-Katalog-Paper. “Wir haben in sechs Monaten mehr Quellen entdeckt als die großen Flaggschiff-Missionen XMM-Newton und Chandra in fast 25 Betriebsjahren.”

Das deutsche eROSITA-Konsortium hat heute mehr als 40 neue wissenschaftliche Publikationen bei Fachzeitschriften eingereicht, zusätzlich zu den mehr als 200, die das Team bereits vor der Publikation der Daten veröffentlicht hat. Die meisten der neuen Veröffentlichungen erscheinen heute, zu den darin beschriebenen Entdeckungen zählt unter anderem das riesige Filament von heißem Gas zwischen Galaxienhaufen. Zudem auch Studien darüber, wie die Röntgenstrahlung eines Sterns die Atmosphäre und die Wasseraufnahme von Planeten in deren Umlaufbahn beeinflussen kann.

“Der wissenschaftliche Umfang und die Auswirkungen der Durchmusterung sind überwältigend und lassen sich nur schwer in ein paar Worte fassen”, sagt Mara Salvato, die als Sprecherin des deutschen eROSITA-Konsortiums die Arbeit von rund 250 Wissenschaftlern koordiniert, die in 12 Arbeitsgruppen organisiert sind. “Ich hoffe, dass die Arbeit des Teams für sich selbst sprechen wird.”

eROSITA Röntgenbild eines neu entdeckten Filaments zwischen zwei Galaxienhaufen.

eROSITA Röntgenbild eines neu entdeckten Filaments zwischen zwei Galaxienhaufen. Die Verteilung von Galaxien des Two Micron All Sky Surveys (weiße Kontouren oben links) folgt der Struktur des Filaments. In der SLOW Simulation, welche die Hauptmerkmale des lokalen Universums reproduzieren soll, wird dieses System mit beiden Galaxienhaufen und dem Filament dazwischen ebenfalls reproduziert. Bild: Dietl et al. (2024), Universität Bonn

Auch Astrophysiker der Universität Bonn unter der Leitung von Prof. Dr. Thomas Reiprich vom Argelander-Institut für Astronomie sind unter den Erstautoren. “Das heiße Gas in Galaxienhaufen (>10 Millionen Grad) lässt sich besonders gut im Röntgenbereich beobachten. Unsere theoretischen Modelle vom Kosmos sagen vorher, dass Galaxienhaufen durch Filamente von warmem Gas (1-10 Millionen Grad) verbunden sind. Ein Filament zwischen zwei Galaxienhaufen, welches besonders lang ist, konnten wir nun dank eROSITA erstmalig entdecken und beschreiben“, so Jakob Dietl, Masterstudent am Argelander-Institut. Doch auch die Galaxienhaufen kann man mit eROSITA hervorragend erforschen: „Dank des großen Sichtfeldes des Instruments konnten wir nicht nur Details des zu uns nächstliegenden Galaxienhaufens, dem Virgo Galaxienhaufen, erforschen, sondern auch die Umgebung“, sagt Hannah McCall, welche nach ihrer Masterarbeit an der Universität Bonn jetzt an der University of Chicago promoviert. Sie führt fort: „Könnten wir Virgo mit bloßem Auge am Nachhimmel sehen, hätte er einen Durchmesser von fünfzehn Vollmonden, eROSITA ist wie geschaffen für die Analyse dieser Objekte! Zum ersten Mal hatten wir die Möglichkeit, die Außenbereiche des Virgo Galaxienhaufens im großen Stil zu erforschen.“ Ein weiterer Forscher, Dr. Konstantinos Migkas, der seine Promotion an der Universität Bonn abgeschlossen hat und derzeit Oort Postdoctoral Fellow an der Sternwarte Leiden ist, führte wichtige Cross-Kalibrierungen mit anderen Röntgensatelliten durch und ist Erstautor einer weiteren Studie.

Dieses Röntgenbild zeigt die ganzen Ausmaße des Virgo Galaxienhaufen, welcher der nächste Haufen von Galaxien zu uns ist

Das Röntgenbild zeigt die Ausmaße des Virgo Galaxienhaufens, welcher der nächste Haufen von Galaxien zu uns ist. Der helle weiße Spot im Zentrum ist die zentrale Galaxie M87 (bekannt durch das Foto des massenreichen Schwarzen Lochs durch das Event Horizon Telescope). Die helle weiße Emission, die das Bild dominiert, ist die des heißen Gases zwischen den Galaxien. Dass die Emission nicht ganz kugelförmig ist, ist ein Anzeichen dafür, dass der Galaxienhaufen sich noch in der Entstehung befindet. Der farbige Streifen in der linken unteren Ecke ist Vordergrundemission aus unserer eigenen Galaxie und ist bekannt als eine der beiden eROSITA bubbles. Bild: McCall et al. (2024), Universität Bonn.

Video: Virgo Galaxienhaufen (MP4, 17.5 MB)

Das wissenschaftliche Ziel des Teleskops besteht auch darin, kosmologische Modelle anhand von Galaxienhaufen zu überprüfen. Die kosmologischen Ergebnisse, die auf einer eingehenden Analyse der eRASS1-Galaxienhaufen beruhen, werden in etwa zwei Wochen veröffentlicht werden.

Verteilung der Röntgenphotonen 

Bei der ersten Durchmusterung des gesamten Himmels entdeckte eROSITA 170 Millionen Röntgenphotonen (in seinem empfindlichsten Energieband mit einer Energie im Bereich von 0,2-2 keV). Nur 20 Millionen davon stammen von einzeln aufgelösten Quellen (dem eRASS1-Katalog). Der Großteil der entdeckten Photonen (ca. 32 %) stammt aus dem so genannten “Kosmischen Röntgenhintergrund”, einem gleichmäßigen, diffusen Röntgenlicht, das aus allen Richtungen kommt und durch die Kombination von weit entfernten, unaufgelösten aktiven galaktischen Kernen entsteht. Die zweitgrößte Komponente (etwa 29 %) ist die diffuse Emission des heißen Gases im Vordergrund der Milchstraße, einschließlich der berühmten “eROSITA-Bubbles”, ein Relikt der Aktivität des massereichen Schwarzen Lochs im Zentrum der Milchstraße.

Hintergrundinformationen zu eROSITA

eROSITA ist das Instrument für weiche Röntgenstrahlung an Bord von Spectrum-Roentgen-Gamma (SRG), einer gemeinsamen russisch-deutschen Wissenschaftsmission, die von der Russischen Raumfahrtagentur (Roskosmos) im Interesse der Russischen Akademie der Wissenschaften, vertreten durch ihr Institut für Weltraumforschung (IKI), und der Deutschen Raumfahrtagentur im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) unterstützt wird. Das SRG-Raumfahrzeug wurde von der Lavochkin Association (NPOL) und ihren Unterauftragnehmern gebaut und wird von NPOL mit Unterstützung des Max-Planck-Instituts für extraterrestrische Physik (MPE) betrieben. 

Das eROSITA Teleskop wurde im Rahmen der SRG-Mission am 13. Juli 2019 ins All gebracht. Seine große Sammelfläche und sein weites Gesichtsfeld sind für eine tiefe Durchmusterung des gesamten Himmels im Röntgenbereich ausgelegt. Im Laufe von sechs Monaten (Dezember 2019 bis Juni 2020) führte SRG/eROSITA die erste Durchmusterung des gesamten Himmels bei Energien von 0,2-8 keV durch, was deutlich tiefer ist als die einzige existierende Durchmusterung des gesamten Himmels mit einem abbildenden Röntgenteleskop, die 1990 von ROSAT bei Energien von 0,1-2,4 keV durchgeführt wurde. 

Die Entwicklung und der Bau des Röntgeninstruments eROSITA wurde vom Max-Planck-Institut für extraterrestrische Physik (MPE) geleitet, mit Beiträgen der Dr. Karl Remeis-Sternwarte Bamberg, der Sternwarte der Universität Hamburg, des Leibniz-Instituts für Astrophysik Potsdam (AIP) und des Instituts für Astronomie und Astrophysik der Universität Tübingen, mit Unterstützung des DLR und der Max-Planck-Gesellschaft. Das Argelander-Institut für Astronomie der Universität Bonn und die Ludwig-Maximilians-Universität München waren ebenfalls an der wissenschaftlichen Vorbereitung von eROSITA beteiligt.  

Die eROSITA-Daten werden mit dem vom deutschen eROSITA-Konsortium entwickelten Softwaresystem eSASS verarbeitet. eROSITA befindet sich seit dem 26. Februar 2022 im Safe Mode und hat seitdem den wissenschaftlichen Betrieb nicht wieder aufgenommen.

eRASS1 Fakten und Zahlen 

  • Beobachtungszeitraum: 12. Dezember 2019 bis 11. Juni 2020
  • Tage der Beobachtungen: 184
  • Beobachtungseffizienz (durchschnittlicher Anteil der Zeit, die das Teleskop mit der Datenerfassung verbracht hat): 96.5%
  • Gesamtzahl der nachgewiesenen Einzelphotonen im Energiebereich von 0,2-2 keV: 170 Millionen [halber Himmel]
  • Gesamtzahl der entdeckten Röntgenquellen: ~900k [Halbhimmel]
  • Gesamtzahl der entdeckten AGN (akkretierende massereiche schwarze Löcher): ~710k [Halbhimmel]
  • Gesamtzahl der entdeckten Sterne in der Milchstraße: ~180k [Halbhimmel]
  • Gesamtzahl der entdeckten Galaxienhaufen: ~12k [Halbhimmel]
  • Gesamtvolumen der wissenschaftlichen Daten, die vom Instrument zur Erde übertragen werden: 75 GB [all-sky]
  • Deutsches eROSITA-Konsortium: ~250 Mitglieder (inkl. 80 Nachwuchswissenschaftler)

Kontakt für die Medien


Jakob Dietl
Argelander-Institut für Astronomie (AIfA)
Universität Bonn
E-Mail: jdietl@astro.uni-bonn.de

Hannah McCall
Department of Astronomy and Astrophysics
University of Chicago
E-Mail: hannahmccall@uchicago.edu

Prof. Dr. Thomas Reiprich
Argelander-Institut für Astronomie (AIfA)
Universität Bonn
Tel. +49 228 73-3642
E-Mail: reiprich@astro.uni-bonn.de

  • 31.01.2024