Verschmelzende Neutronensterne  -  Verbindung mit Gold

Klaas S. de Boer     Argelander Institut für Astronomie, Univ. Bonn

Am 16 Oktober 2017 wurde angekündigt, dass mit LIGO/VIRGO Schwerkraftwellen detektiert wurden, die die Verschmelzung zweier Neutronensterne als Ursprung haben. Die Pressemitteilung sprach auch vom dabei erzeugten Gold, Gold das aus ähnlichen vorangegangenen Verschmelzungen die Erde bereichert haben sollte.
Die Aussage (für die Presse) ist richtig, aber diese Verbindung ist hauchdünn und erfordert viel an Erläuterung. Mit diesem Essay soll versucht werden, dieses Wissen zu vermittlen.

Was war geschehen?

Am 17. August 2017 hatte LIGO/VIRGO, die Anlage zur Detektion von Gravitationswellen, Signale in der "Raum-Zeit" registriert, die mehr als 1½ Minuten andauerten. Dieses Ereignis (nun GW170817 genannt) wurde sofort erkannt als verursacht von zwei verschmelzenden Neutronensternen, die einander mit hoher Geschwindigkeit umkreisten. Sehr kurz danach detektierten Satelliten "Gammastrahl-Blitze".

Nachdem die Richtung am Himmel, aus der die Gravitationswellen kamen, bestimmt worden war (mithilfe der LIGO/VIRGO Signale *), konnten mit verschiedensten Messgeräten ausgestattete Teleskope auf das Himmelsgebiet der Quelle ausgerichtet werden. Die darauffolgenden Messungen lieferten sowohl die genaue Position am Himmel sowie die Bestätigung früherer Vorhersagen über das Verhalten verschmelzender Neutronensterne.

Um zu verstehen, was das Verschmelzen zweier Neutronensterne mit der Erzeugung von Gold zu tun hat, muss man etwas wissen über:  1. Schwerkraftwellen;  2. Prozesse, die schwere Atomkerne erzeugen (Nukleosynthese);  3. Entwicklung von (Doppel-) Sternen;  4. Bildung von Sternen und Planeten;  5. Entwicklung der jungen Erde und Kontinentalverschiebung.

1. Schwerkraftwellen

Wenn zwei sehr schwere Körper (wirklich schwer, wie Sterne) um einander kreisen, dann bewegen sie sich in ihrem gemeinschaftlichen von der Schwerkraft bestimmten "Potentialtopf". Die Relativitätstheorie besagt, dass solche Objekte in ihrer Umgebung das Raum-Zeit-Gewebe verformen, der Raum wird örtlich stark gekrümmt. Wenn solche Objekte umeinander kreisen, wird sich diese periodische Verformung in den Raum verbreiten. Umkreisen sie sich ganz schnell, so kann die Verformung stark genug werden, um sie auf der Erde detektieren zu können. Für die erste direkte Detektion im Jahr 2015 von Schwerkraftwellen wurde den leitenden Wissenschaftlern des Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory der Nobelpreis Physik 2017 verliehen. Die Einzelheiten sind im Aufsatz Schwerkraftwellen zu finden.

Das Wesentliche zweier sich umkreisender Sterne ist, dass sie sich mit der Zeit nähern, dass sie sich verschmelzen werden: sie werden zu einem Objekt. Merke, die Verschmelzung zweier schwarzer Löcher kann nicht gesehen werden, da keine Strahlung, welcher Art auch immer, einem schwarzen Loch entweichen kann. Aber bei der am 16 Oktober bekannt gemachten Entdeckung handelt es sich um Neutronensterne. Diese sind deutlich weniger schwer als schwarze Löcher, so dass die beim Verschmelzen zweier Neutronensterne freigesetzte Strahlung doch gesehen werden kann! Zum ersten Mal konnten Daten aus so einem Ereignis gewonnen werden. Um dies alles zu verstehen, und auch das erwähnte Gold, müssen einige Mechanismen erklärt werden.

2. Prozesse, die schwere Atomkerne erzeugen (Nukleosynthese)

Die für die Strahlung eines Sterns benötigte Energie kommt weitgehend aus der Fusion von Wasserstoff (H) zu Helium (He) im Zentrum eines Sterns (4 H → 1 He + Strahlung). Nach einer langen Phase dieser stabilen Kernfusion werden Schritte in der Entwicklung des Sterns zu weiteren Schritten bei der Kernfusion führen, die alle zur Produktion von Energie für die Strahlung eines Sterns beitragen. In jedem neuen Schritt werden schwerere Elemente erzeugt, wie folgt.

Nach langer Zeit wird der meiste Wasserstoff im Zentralbereich des Sterns zu He verbrannt sein und dann muss der Stern seine Struktur anpassen: er dehnt sich aus und verbrennt nun Wasserstoff in einer Schale um den mit Helium gefüllten Zentralbereich. Auf diese Art wird dem Zentralbereich Helium zugeführt und die Dichte im Zentrum des Sterns wird deswegen höher. Dann wird in diesem dichten und heissen Zentralbereich Helium zünden. Es wird fusioniert zu Kohlenstoff


Reaktionsnetzwerk zur Bildung der angegebenen schwereren Elemente. Zerfall ist auch möglich (nach de Boer & Seggewiss, 2008).

(3 He → 1 C + Strahlung). Das geschieht nur, wenn der Stern ausreichend Masse hat: die Dichte und die Temperatur im Zentrum müssen hoch genug sein, um überhaupt zu dieser Fusion zu kommen.

Auf die gleiche Art können weitere Fusionsprozesse starten, doch immer nur, wenn Druck und Temperatur im Zentralbereich für den weiteren Schritt ausreichen. So führt He + C zu O, Ne, Mg, Si, usw. Und aus diesen Elementen (siehe Bild) kann eine ganze Reihe ähnlicher Elemente gebildet werden. Wenn alles gut geht, kommt es auch zur Bildung von Eisen (Fe), das Element mit der höchsten Dichte in dieser Verkettung. Die Regel ist: wie schwerer der Stern, um so einfacher ist es, schwerere Elemente zu erzeugen, aber nur bis Fe. In all diesen Prozessen gewinnt der Stern Energie: die Fusion setzt mehr an Energie frei als benötigt, um die Fusion in Gang zu setzen.


Beispiel eines Reaktionsnetzwerks zur Bildung von Lanthan (La) mit "Neutroneneinfang" (nach de Boer & Seggewiss, 2008).

Der Gedanke, Elemente schwerer als Fe zu erzeugen, führt sofort zu einem Problem. Diese Elemente nehmen Energie auf, die bei deren Bildung dem Stern entzogen wird. Es ist deutlich, dass dies nicht funktioniert. Neutroneneinfang löst das Problem. Wo Neutronen vorhanden sind, werden sie auf geladene Atomkerne treffen und darin mühelos aufgenommen, wodurch die Masse des Kerns um 1 Punkt ansteigt. Dies führt zu schwereren Elementen. Dieser Prozess ist aber in Sternen sehr langsam.


Periodischer Tafel. Die Farben teilen die Elemente ein nach ihren physkalisch-chemischen Eigenschaften (von Helmenstine 2017).

Wenn nun zwei Neutronensterne verschmelzen, bedeutet die dazugehörende Explosion, dass riesige Mengen an Neutronen herumgeschleudert werden. Mit so vielen Neutronen wird der Prozess des Neutroneneinfangs viel schneller entlang allen möglichen Wegen der Kernfusion. Da der Raum um zwei verschmelzende Neutronensterne von Neutronen durchflutet wird, können alle Fe-Kerne Schritt für Schritt wiederholt Neutronen aufnehmen. Dies führt zur Bildung von allen Elementen schwerer als Eisen, wie Kupfer (Cu), Zink (Zn), Silber (Ag), Cadmium (Cd), Zinn (Sn), Lanthan (La), die Lanthanoiden (Ce, Pr, usw) und weiter bis Osmium (Os), Platin (Pt), Gold (Au), Quecksilber (Hg), Blei (Pb) und mehr (siehe die periodische Tafel).
Zusammenfassend: zwei verschmelzende Neutronensterne werfen Unmengen an Neutronen aus, die, wenn eingefangen von schweren Atomkernen, eben schwerere Kerne bilden, Elemente schwerer als Fe.

3. Entwicklung von (Doppel-) Sternen

Die meisten Sterne entstehen in Paaren, oft sogar in Gruppen. Sterne in Paaren umkreisen einander.

Wenn einer von zwei sich eng umkreisenden Sternen sich entwickelt und ausdehnt, können seine äußeren Schichten über den Sattel des Potentialtopfs zum anderen Stern fließen (nach de Boer).

Wenn sie nicht zu weit auseinader sind, können die äußeren Schichten eines sich wegen der fortschreitenden Sternentwicklung zum Stadium eines Roten Riesen ausdehnenden Sterns über den Sattel des gemeinsamen Potentialtopfes auf den anderen Stern herüberfließen.

Für Doppelsterne gibt es eine Fülle an möglichen Entwicklungswegen. Was genau geschehen wird, hängt von der Anfangsmasse beider Sterne und von deren anfänglicher Entfernung ab, d.h., wie eng sie einander umkreisen. Der massereichere wird sich als erster ausdehnen, dabei Masse auf den anderen übertragen, so dass letzteren der massereichere wird. Bei Anfangsbedingungen im "richtigen" Bereich können Paare enden als Paar, wo erst einer der Sterne, dann der andere als Supernova explodiert, um je einen Neutronenstern als Überrest zurück zu lassen.

Neutronensterne in einem gemeinsamen gravitativen Potentialtopf werden gegenseitig Kräfte auf ihren äußeren Schichten ausüben. Diese "Reibung" bedeutet einen Verlust an Bahnenergie, das System wird mit der Zeit enger und die Sterne umkreisen sich schneller. Letztendlich werden die zwei Neutronensterne verschmelzen. Dieser Prozess führt zu den oben genannten Schwerkraftwellen (wie auch beim Verschmelzen zweier schwarzen Löcher, die auch Neutronensterne sind, aber eben derart massereich, dass kein Licht mehr entweichen kann). Eine Verschmelzung zweier Neutronensterne geht mit einer Explosion einher, und dabei wird die oben geannnte Flut an freien Neutronen freigesetzt, was zum beschriebenen Aufbau schwererer Atomkerne führt.

4. Bildung von Sternen und Planeten

Freies Gas war/ist das Baumaterial bei der Entstehung von Galaxien. Das meiste Gas wird bei der Bildung der Sterne verbraucht, aber es bleibt genug freies Gas. Später werden Sterne, die ihren äußeren Schichten abblasen oder als Supernova explodieren, erneut freies Gas hinzufügen. Auch die Explosion beim Verschmelzen zweier Neutronensterne trägt dazu bei. Alle diese Gase, in die ursprünglichen hineingemischt, haben ihre eigene Mischung an schweren Elemente beigesteuert, Elemente, die entstanden bei der Kernfusion in den Sternen, in den Supernovaexplosionen, oder bei der Verschmelzung der Neutronensterne.

Das freie Gas enthält also schwere Elemente. Sie umfassen die ganze Palette von Kohlenstoff zu Eisen und mit geringem Anteil auch die Elemente, die bei Neutroneneinfang entstanden, wie Zink (Zn), Gold (Au), Blei (Pb) und Uran (U). Diese schweren Elemente, zum Teil in kleinen Molekülen wie Oxiden (meist mit Magnesium und Silizium) eingebunden, verkleben langsam zu sehr feinen das Sternlicht verdunkelnde "Staubpartikeln" im Raum.


Der sehr junge Stern Orion 114 in seiner staubigen Scheibe, worin sich auch Planeten formen können (Aufnahme von McCaugrean & O'Dell 1996)

Sterne entstehen in dichten und kalten Wolken von Gas und Staub. Eine Wolke verdichtet sich immer bei etwas Rotation. Im Zentrum kann sich ein "Proto-Stern" bilden. Das Restmaterial der Wolke landet in einer herumschwirrenden staubigen Scheibe mit dem Stern in ihrem Zentrum (siehe Bild). Der junge Stern wird in seinem Zentralbereich ziemlich heiß sein. Und wenn genug Masse vorhanden ist, erfolgt Kernfusion im Zentrum (4H → He), der Stern ist "geboren".

In der Scheibe kleben kalte Klumpen zusammen und so können Planeten entstehen. Das Zentrum eines Planeten wird dabei wärmer, sogar heiß genug, um festes Material schmelzen zu lassen. Die schwersten Atomkerne werden zum Zentrum des jungen Planeten absinken. Der Kernbereich wird vorwiegend das relativ häufige Eisen enthalten, das Element mit dem dichtesten Atomkern. Chemisch inaktive schwere Elemente, wie Gold und Silber, werden auch hineinsinken. Die leichteren Materialien, wie die Silizium-Oxyde, schwemmen auf und bilden somit die äußere Schicht des Planeten. Falls der Planet sehr schwer ist, kann die Schwerkraft auch die leichteren Gase festhalten, wie Sauerstoff und Stickstoff, und so eine Atmosphäre bilden.

5. Entwicklung der jungen Erde und Kontinentverschiebung

Als die junge Erde sich formte, sank das flüssige Eisen zum Zentrum hin und bildete den Kernbereich der Erde. Dabei wurden fast alle anderen schweren Elemente mitgenommen, darunter die Edelmetalle wie Gold und Platin. Was an der Oberfläche blieb, war eine dicke Schicht mit leichterem Material, vorwiegend Silikate, die zur Erdkruste wurde.

Nach dem Herabsinken von Gold sollten die äußeren Schichten ohne "Glitzer-Elemente" zurückgeblieben sein. Aber es gibt viel mehr Edelmetalle in der Kruste, als mit dem Absinken im Einklang zu bringen ist. Die zugänglichen Reserven an Edelmetallen sind auf fortdauernd einfallende Meteorite zurückzuführen.


Plattentektonik und die Folgen. Die ozeanische Platte wird unter die Kontinentale Kruste geschoben. Magmakammer bilden sich und Vulkane kommen zum Ausbruch (von Wikipedia).

Mehrere Millionen Jahre nach dem Entstehen der Erde war die Kruste kühl und stark genug, um den Einfall aus der staubigen Scheibe (worin sich gerade Stern und Planeten geformt hatten) zu tragen. Das Material wurde in der Kruste aufgesammelt. [Text angepasst aus Willibold & Elliott, 2011.]

Hunderte Millionen Jahre später fing die Plattentektonik an. Plattentektonik ist das Auseinderbrechen der Kruste und das Schwemmen der Teile auf dem weicheren, plastischen Material des Mantels. Wenn solche Platten aufeinander stoßen, wird meistens eine unter die andere gedrückt, die andere wird dadurch angehoben. Durch diesen Prozess entstehen Gebirgsketten. Das heruntergedrückte Material wird heiß, zum Teil flüssig und so zu Magma. Dieses Magma wird in Rissen der Kruste nach oben vorpreschen, die auftreibende Bewegung ist wie Vertikalströmungen in der Erdatmosphähre (warme Luft steigt hoch). Das Magma bildet Magmakammern.

Die Oberseite einer Magmakammer wird durch das umgebende Krustmaterial kühler. Dadurch wird ein Teil des Magmas solche Bedingungen bekommen, in die gewisses Material zur Kristallisation kommt. Diese nun etwas dichteren Kristalle sinken zum Boden der Magmakammer. Welche Kristalle sich bilden, z.B. Pyrit ( FeS2 ), oder Olivin ( (Mg2+,Fe2+)2SiO4 ), hängt von der Dichte und der Temperatur ab.


Olivin Kristall,       Kristallkuben aus Pyrit, Goldklumpen.
Bilder von Wikipedia.

Daher werden die sich gerade bildenden Kristalle gemeinsam absinken und dabei diese Elemente in eine Schicht zusammenbringen. Auf diese Art werden die Elemente, die anfänglich diffus in der Kruste verteilt waren, in (noch sehr ungeordneten) Schichten des Materials zusammengeführt. In darauffolgenden Vulkanausbrüchen werden Lavaströme diesen nun geringfügig konzentrierten Mineralien an die Erdoberfläche tragen. Das alles wird unter weiterem vulkanischem Ausbruchmaterial begraben sowie unter weiterem aus dem Raum einfallenden meteoritischem Material. All diese Prozesse wiederholen sich ständig über geologische Zeiten.
Dies erfährt auch das Gold. Da dieses Element kaum chemische Bindungen eingeht, wird es an mehreren Stellen der Erde als pures Gold gefunden.

Niemand hat die beschriebenen sich im Erdinneren abspielenden Prozesse wirklich sehen können. Dass sie stattfinden, wurde aus vielen Studien, z.B. der Dichtestruktur der Erdkruste (aus der Art der Fortpflanzung von Erdbeben), der Schichtung von Granit, der Vulkane, der Lavastrüme, usw., abgeleitet.

Der Weg des Goldes, das in der Nähe zweier verschmelzender Neutronensterne produziert wird, zum Goldklumpen ist lang, kurvenreich und kompliziert!

*   Die drei LIGO/VIRGO Detektionsanlagen, mit je zwei unter 90 Grad orientierten "Messarmen" (siehe Schwerkraftwellen), können je für sich die Ursprungs-Richtung der Signale grob feststellen. Die drei Richtungen zusammen liefern eine ziemlich genaue Richtung zur Quelle. Bei dem Ereignis vom 17.  Aug. 2017 detektierte VIRGO in Europa nur ein sehr schwaches Signal, obwohl die Anlage voll in Betrieb war. Erklärung: die Gravitationswellen trafen bei VIRGO aus einer Richtung fast senkrecht zu den beiden VIRGO-Messarmen ein, so dass keine messbare Dehnung/Schrumpfung der VIRGO-Messarme stattfand, aber doch eine Richtung abgeleitet werden konnte.

Verwendete Quellen
Angulo, C., et al., 1999, Nuclear Physics A, 656,3
Cambridge Encyclopedia of Earth Sciences
de Boer, K.S., Seggewiss, W., 2008, "Stars and Stellar Evolution", EdPSciences
LIGO and VIRGO collaboration, 2017, Astrophys. J. 848, L12
McCaugrean, M.J., O'Dell, C.R., 1996, Astronom.J. 111, 1977
Willibold, M., Elliott, T., 2011, Nature; phys.org/news/2011
Magmakammer: https://de.wikipedia.org/wiki/Magmakammer
Plattentektonik: https://de.wikipedia.org/wiki/Plattentektonik


2017.11.16   neutronengold.html   Englischfassung 2017.08.30