LOGO

PRI (MPIfR) 10/02 (1) Presseinformation 7. Oktober 2002


Jenseits von Pluto:

Max-Planck Radioastronomen vermessen ferne Kleinplaneten


Wissenschaftlern vom Max-Planck-Institut für Radioastronomie in Bonn gelang es, den Durchmesser von vier der fünf grössten und fernsten Kleinplaneten unseres Sonnensystems zu bestimmen. Der grösste dieser Himmelskörper wurde im Juni von Planetenforschern des California Institute of Technology entdeckt und von diesen nach einem Schöpfungsmythos der kalifornischen Tongva-Stammes "Quaoar" getauft. Die Radiobeobachtungen der Bonner Astronomen mit dem IRAM-30m-Teleskop zeigen, dass Quaoar mit einem Durchmesser von ca. 1250 km das grösste Objekt ist, dass seit der Entdeckung von Pluto im Jahre 1930 im Sonnensystem gefunden wurde.

Die neuen Kleinplaneten wurden zunächst als punktförmige und sich langsam bewegende Objekte auf optischen Himmelsaufnahmen identifiziert. Die Bonner Astrophysiker Frank Bertoldi und Wilhelm Altenhoff konnten nun durch Messung der Wärmestrahlung der vier hellsten Kleinplaneten deren Durchmesser auf zwischen 700 bis 1200 km bestimmen. Ihre kalifornischen Kollegen, die ihre Entdeckung von Quoaor am 7. Oktober 2002 auf einem Kongress der American Astronomical Society in Birmingham im US Bundesstaat Alabama bekannt gaben, konnten Quaoar in optischen Bildern des Hubble Space Teleskops sogar direkt vermessen, was bisher wegen ihrer winzigen Ausdehnung bei keinem anderen solcher Objekte gelungen war. 

Die vier Kleinplaneten befinden sich in den äussersten Regionen unseres Sonnensystems, jenseits von Pluto in einer Entfernung von mehr als 4 Milliarden km, über 30 mal weiter als der Abstand zwischen Erde und Sonne. Sie sind Mitglieder des sogenannten Kuiper-Gürtels von etwa hunderttausend Kleinplaneten, die unsere Sonne auf stabilen Bahnen mit Umlaufzeiten von ca. 300 Jahren umkreisen. Die Existenz solch eines Rings von Kleinplaneten wurde Mitte letzten Jahrhunderts von den Astronomen Kenneth Edgeworth (1880-1972) und Gerard P. Kuiper (1905-1973) vermutet. Die erste Sichtung eines Edgeworth-Kuiper-Objekts (EKO) gelang aber erst 1992, und seitdem wurden über 550 EKOs entdeckt.


Abbildung 1:  Der neuentdeckte Kleinplanet Quaoar im Grössenvergleich mit Pluto, Mond und Erde. (Bild: NASA)

Eine direkte Grössenbestimmung der EKOs war bisher wegen ihrer grossen Entfernung nicht möglich. Mit dem 30-Meter Teleskop von IRAM in Südspanien und MAMBO, einem sehr empfindlichen Wärmesensor des Bonner Max-Planck-Instituts, gelang es den Bonner Forschern nun, die Wärmestrahlung von vier der fünf grössten EKOs zu messen. 

"Die Geschwindigkeit, mit der sich ein Kleinplanet am Himmel bewegt, verrät uns dessen Entfernung", erklärt Dr. Frank Bertoldi, "und damit können wir die durch Sonnenstrahlung bestimmte Oberflächentemperatur des Objekts ausrechnen. Die von uns gemessene Stärke der Wärmestrahlung, die von der Oberflächentemperatur und der Grösse abhängt, zeigt uns dann, wie gross der Kleinplanet ist. Hingegen erlaubt die optische Helligkeit, die nur reflektiertes Sonnenlicht ist, keinen genauen Aufschluss über die Grösse, weil das recht niedrige Reflektionsvermögen der Oberfläche nicht vorab bekannt ist". 

"Die Entdeckung der beiden grossen EKOs durch die amerikanischen Kollegen ist beeindruckend und wichtig", bekennt Dr. Wilhelm Altenhoff, der seit Jahrzehnten die Kleinplaneten und Kometen erforscht. "Es werden im kommenden Jahr bestimmt noch viele neue und vielleicht noch grössere dieser Objekte dazukommen. Uns interessiert dabei die Ausdehnung der EKO-Wolke und besonders, wieviel Masse in all den EKOs insgesamt steckt. Denn dies erlaubt interessante Rückschlüsse auf den Ursprung unseres Planetensystems; die EKOs sind eine Geröllhalde, eine archäologische Fundstätte, die ursprüngliche und unveränderte Überreste des Sonnennebels enthält, aus dem sich die Sonne und Planeten entwickelt haben. Die Bestimmung der Grösse und Reflektivität der grossen EKOs ist wichtig, weil deren Kenntnis uns erlaubt, die Gesamtmasse der vielen kleineren EKOs abzuschätzen, die ja zu winzig sind, als dass wir ihren Durchmesser direkt messen könnten."
 

Die fünf grössten bekannten Edgeworth-Kuiper Gürtel Objekte
Name Sonnenabstand  Durchmesser Albedo bestimmt durch mit
Quaoar 42 au 1250 +-50 km 
1200 +-200 km
12 %
Brown, Trujillo 
Bertoldi, Brown, Trujillo, Margot 
HST 
IRAM 30m
Ixion (2001KX76) 43 au 1055 +-165 km 9 %
Altenhoff, Bertoldi IRAM 30m
Varuna 43 au 900 +-140 km 7 %
Jewitt, Aussel, Evans JCMT
2002AW197 48 au 890 +-120 km 10 %
Margot, Brown, Trujillo, Bertoldi IRAM 30m
1999TC36 31 au 675 +-100 km 3.5 %
Altenhoff, Bertoldi IRAM 30m

      Anmerkungen:
  • JCMT = James-Clerk-Maxwell Teleskop, Hawaii
  • Albedo = Reflektionsvermögen der Oberfläche
  • HST = Hubble Space Telescope
  • au = "Astronomische Einheit" = mittlerer Erde-Sonne Abstand, ca. 150 Mio. km.
  • Grössen und Albedos sind bislang nur für diese 5 EKOs gemessen.
  • Ixion, griech. Mythologie, thessalischer König, der zur Strafe für seine Annäherung an Hera in Tartarus an ein drehendes Rad gebunden wurde.
 

Die Messungen bei Millimeter-Wellenlängen wurden mit dem IRAM 30-m Teleskop auf dem Pico Veleta bei Granada in Spanien durchgeführt (Abb. 2). Der an diesem Teleskop benutzte äusserst empfindliche Bolometer-Detektor (MAMBO, Abb. 3) wurde am Max-Planck-Institut für Radioastronomie von Dr. Ernst Kreysa und seiner Gruppe entwickelt und gebaut. Das Institut für Radioastronomie bei Millimeterwellenlängen (IRAM) wird gemeinsam von der Max-Planck-Gesellschaft, dem französischen Centre National de Recherche Scientifique und dem spanischen Instituto Geografico Nacional mit Hauptquartier in Grenoble betrieben. 
 

Abbildung 2:   IRAM 30-m Radioteleskop in der spanischen Sierra Nevada, nahe Granada.  Abbildung 3:   Max-Planck-Millimeter-Bolometer (MAMBO) 37-Element Empfänger. Der Durchmesser des hexagonalen Hornarrays beträgt ca. 4 cm.

Nachgefragt:

Wieviele EKOs gibt es? Man schätzt, dass es ca. 100.000 EKOs mit Durchmessern über 100 km gibt, was ungefähr die Grenze der momentanen Detektierbarkeit ist. Deren Gesamtmasse beträgt ca. 10% der Erdmasse, also 6 mal 10^24 kg, oder 6 Billionen-Billionen kg. Wenn wir zu noch kleineren EKOs extrapolieren, die wir nicht sehen, die aber bestimmt da sind, so kann es ca. 1 Milliarde EKOs mit Grössen über 10 km geben. Während der Entstehung des Sonnensystems, in den ersten 100 Mio. Jahren als sich die Planeten bildeten, muss im Gebiet der EKOs ca. 100 mal mehr Masse vorhanden gewesen sein als heute.

Wo genau ist der Kuiper-Gürtel? Er beginnt ausserhalb der Bahn von Neptun, also bei ca. 30 au (1au = 150 Mio. km), und geht bis mindestens 70 au. Viele EKOs liegen in einer Bahn-Resonanz mit Neptun bei mittleren Abständen von 39 au, und viele zwischen 41 und 47 au. Warum es wenige jenseits von 70 au gibt ist nicht klar, vielleicht haben wir sie einfach noch nicht gesehen.

Was ist der Unterschied zwischen EKOs und KBOs? Keiner. Es gibt verschiedene Namen für die gleichen Objekte: Edgeworth-Kuiper-object (EKO), Kuiper-Belt-object (KBO), Trans-Neptunian object (TNO).

Hängt die Grössenbestimmung mit Radiomessungen nicht auch vom Albedo ab? Ja, aber nur sehr schwach. Optische Helligkeitsmessungen alleine geben weder Durchmesser noch Albedo. Radiomessungen alleine bestimmen den Durchmesser recht genau. Radio- und optische Messungen zusammen erlauben die Bestimmung der Grösse und des Albedos.

Wodurch ist das Albedo bestimmt? Das Reflektionsvermögen der Oberfläche ist wahrscheinlich bestimmt durch drei Effekte, doch genaues darüber ist bislang kaum bekannt: 1. Gase, Wasserdampf, Hyroxyl, CO, z.B., "schwitzen" aus der Oberfläche, und schlagen sich dort als Eis nieder, was die Oberfläche hell machen könnte. 2. Durch die lange Einwirkung von UV Strahlung können sich auf der Oberfläche dunkle, Teerartige Kohlenwasserstoff-Polymere bilden. 3. Einschläge kleiner und grosser Teilchen können die Oberflächenschichten neu aufmischen. Die relative Stärke dieser drei Effekte bestimmt wohl die Oberflächenbeschaffenheit der EKOs. Es scheint als ob die grösseren EKOs eine hellere Oberfläche besitzen als die Kometenkerne und die Asteroiden. Es gibt aber auch grosse Variationen wie unsere Messungen zeigen -- siehe obige Tabelle.

Ist Pluto ein Planet oder ein EKO? Eher ein EKO, denn er hat nicht viel gemein mit den äusseren Planeten, aber in Bezug auf seine krumme Bahn, Grösse, und Beschaffenheit unterscheidet er sich kaum von den EKOs. Sein Albedo von 60% scheint etwas sonderbar, was vielleicht darauf zurückzuführen ist, dass verstärkt Gase aus der Oberfläche treten und als helles Eis ausfrieren. Übrigens ist auch der Neptun-Mond Triton wahrscheinlich ein eingefangenes EKO.

[ELN]

Informationen im Internet:

Für weitere Auskünfte stehen Ihnen gerne zur Verfügung:

Dr. Frank Bertoldi
Telefon: 0228/525-377  oder  0179/8567872 
Fax: 0228/525-229 
e-mail: bertoldi@mpifr-bonn.mpg.de

Dr. Wilhelm Altenhoff
Telefon: 0228/525-293 
Fax: 0228/525-229 
e-mail: waltenhoff@mpifr-bonn.mpg.de

Dr. Norbert Junkes (MPIfR  Öffentlichkeitsarbeit) 
Fax: 02257/301-105 
e-mail: njunkes@mpifr-bonn.mpg.de

English version English version