Zusätzliches Kapitel zum Thema   Astrophysik   in   Physik des Monats

Das interstellare Medium (ISM): Materiekreislauf

Inhalt dieser Webseite (mit Stichwörtern):
1. Bedeutung des ISM;   -   2. Kreislauf des ISM:     Junge Sterne     Ionisiertes Gas     Anreicherung     Koronales Gas     Galaktische Fontäne     Molekülwolke     Sternentstehung   -   3. Messungen an dem ISM

1. Bedeutung des ISM

Das Medium zwischen den Sternen ist der Stoff, der die Entwicklung einer Galaxie bestimmt. Im ISM entstehen die Sterne. Und am Ende ihres Lebens wird durch planetarische Nebel und Supernovaexplosionen ein Großteil ihrer Masse an das ISM zurückgegeben. Trotz dieser großen Bedeutung wissen wir, dass das ISM in unserer Galaxis nur einen kleinen Prozentsatz der Gesamtmasse der Galaxis darstellt, auch ohne `Dunkle Materie'.

In der Nähe von jungen und massereichen Sternen wird interstellares Gas bis auf 104 Grad Kelvin geheizt, ja sogar manchmal durch Supernova-Explosionen bis über 106 K. Ohne Energiezufuhr kühlt es bis auf Temperaturen in der Nähe von 3 K (die der kosmischen Hintergrundstrahlung) ab. Da im ISM der Gasdruck etwa überall gleich ist, bedeutet eine Kühlung gleichzeitig eine Verdichtung des Mediums. In diesen kühlen und dichten Gebieten sind die Bedingungen günstig für die Bildung von Molekülen, darunter Oxide wie irdische Mineralien (die zu Staubteilchen kondensieren), aber insbesondere auch Moleküle, die in irdischen Labors bisher nicht hergestellt werden können. Die großen Molekülwolken mit bis zu 107 Sonnenmassen an Material gehören zu den massereichsten Objekten der Milchstraße. Sie sind vermutlich unterteilt in kleinere Molekülwolken und in klumpige und kalte Gebiete mit Sternentstehung.

Die galaktische Rotation (siehe "Entschlüsselung der großräumigen Struktur unserer Galaxis") sowie Energiezufuhr durch die stellare Komponente in Form von Sternwinden und Supernovaexplosionen führen zu einem hochgradig turbulenten Bewegungszustand des interstellaren Mediums. Massearme Wolken können durch Kollisionen zu massereichen Molekülwolkenkomplexen heranwachsen, wodurch gleichzeitig kinetische Energie freigesetzt wird. Der dynamische und thermische Zustand des ISM wird durch das komplexe Gleichgewicht zwischen Energieabgabe und stellarer Energiezufuhr bestimmt.

Aufgrund der, aus irdischer Sicht, aussergewöhnlichen Bedingungen ist das ISM ein ideales Labor für die Physik stark verdünnter Plasmen, für chemische Prozesse unter extremen Bedingungen, für Atomphysik und Molekülphysik, sowie für andere Bereiche der Naturwissenschaften.

Orion Nebel (Obs. Hoher List)          

Der große Nebel im Sternbild Orion leuchtet in vielen Farben. Licht von den heissen Sternen im Nebel, z.B. der Trapezium Sterne im Zentrum, liefern an das umgebende Gas Energie, so dass Atome und Ionen angeregt werden und zu leuchten anfangen.
( Aufnahme Observatorium Hoher List)

2. Kreislauf des ISM

Das komplexe Wechselspiel zwischen der stellaren- und gasförmigen Komponente einer Galaxie führt zu einem chemischen und dynamischen Kreislauf der interstellaren Materie. Die Vielfalt der vorherrschenden Kombinationen von Temperatur und Druck sowie die sehr unterschiedlichen Prozesse im interstellaren Medium ermöglichen eine große Verschiedenheit an beobachtbaren Phänomenen.

Auflösung der Wolken nach Sternentstehung

Nachdem sich in einer dichten, dunklen Wolke junge Sterne gebildet haben, beleuchten sie das umgebende Gas von innen. Die Strahlung massearmer Sterne ist nicht sehr energiereich und kann das umgebende Gas nur erwärmen. Massereiche Sterne haben hingegen eine sehr heisse Oberfläche und können deswegen mit den abgestrahlten hochenergetischen Photonen das Umgebungsgas effektiv aufheizen (bis auf 104 K), die Moleküle dissozieren und die Atome ionisieren. Solche Gasgebiete heissen HII Regionen. Hinzu kommt ein mindestens ebenso energetischer Sternwind, der mit Expansionsgeschwindigkeiten von einigen 1000 km/s die Umgebung des massereichen Sterns "freifegt" und damit direkt auf das ISM dynamischen Einfluss ausübt. Die heisse Gasblase hat einen hohen Überdruck und dehnt sich aus wodurch die ursprünglich kompakte Wolke aufgelöst wird. Die sich um heisse Sterne bildende Zone aus ionisiertem Gas mit Temperatur um 104 K kann durch ihre vielen Emissionslinien im sichtbaren Teil des Spektrums sowie durch Radiorekombinationslinien beobachtet und analysiert werden.

Anreicherung mit schweren Elementen

Einige Millionen Jahre nach der Entstehung einer Sterngruppe senden die Explosionen der massereichen Sterne als Supernovae Stosswellen durch das ISM und heizen das Gas stark auf bis über 106 K. Dabei werden Moleküle dissoziert, wird das Gas weiter ionisiert, und Staubteilchen werden zerstört. Zugleich wird eine große Menge an Material, das in dem ursprünglichen Stern wegen der dort ablaufenden Kernfusion mit schwereren Elementen angereichert wurde, an das ISM übergeben. So wird auch das ISM im Laufe der Entwicklung der Galaxis immer reicher an schweren Elementen. Die Elementhäufigkeit des ISM ist daher auch ein grobes Mass für sein Entwicklungsalter. Da die Fähigkeit der Kühlung des interstellaren Gases bei größerem Metallgehalt auch größer ist, entstehen kalte Gaswolken in solchem Gas leichter und es wird erwartet, dass dann auch Sternbildung besser funktioniert.

Bild Krebsnebel (VLT)
         
 

Der Krebs-Nebel im Sternbild Stier zeigt eine leuchtende, faserige Struktur. Es ist der Überrest einer Supernova-Explosion im Jahr 1054. Die Hülle des ursprünglichen Sterns wurde herausgeschleudert und energiereiche Photonen wurden ausgestrahlt. Im Zentrum des Nebels befindet sich das Überbleibsel: der schnell rotierende Neutronenstern, der Krebs-Pulsar. Das Innere der Nebel ist auf Temperaturen von über eine Million Grad aufgeheizt. Die Nebelfetzen haben heute noch Geschwindigkeiten bis zu 1000 km/s.
(Aufnahme von ESO: VLT KUEYEN mit FORS2)

Galaktische Fontäne

Die in Supernovae freigesetzte Energie kann dazu führen, dass Gas aus der Ebene einer Scheibengalaxie in den Halobereich hinaus geblasen wird. Sowohl bei der Durchsicht durch den Halo unserer Milchstraße (in Emission im Röntgenbereich, in Absorption im Fern-Ultraviolett) als auch in Seitenansicht bei anderen Galaxien (in Röntgenemission) lässt sich das sehr heisse Halogas (koronales Gas) beobachten.

Bild der Galaxie NGC 4631 aufgenommen mit dem Chandra Satellit. Mit der Farbe blau ist die Strahlung des Röntgenbereichs gezeigt und mit rot die Intensität im sichtbaren. Das blaue Röntgengas zeigt das aus der Scheibe in den Halo entweichende heisse Gas der Galaxie.

 

Kann der galaktische Halo das Gas gravitativ binden, dann wird es zwangsläufig (mangels ausreichender Energiezufuhr) bis zur Bildung neutraler Komplexe rekombinieren und abkühlen. Die neutralen Wolken fallen in die galaktische Scheibe zurück und werden als Hochgeschwindigkeitswolken in verschiedenen Spektralbereichen beobachtet. Dieser Kreislauf ist die galaktische Fontäne. Unterschiedliche Bereiche des interstellaren Gases werden durch das Ausströmen in den Halo und den anschliessenden Einfall an anderer Stelle als Hochgeschwindigkeitswolken, aber sicher auch durch lokale irreguläre Bewegungen und deswegen Kollisionen der Gaskomponenten in der Scheibe durchmischt und chemisch homogenisiert.

Die galaktische Scheibe ist umgeben von einem größeren nur dünn mit Sternen besiedelten Raum, dem Halo. Das von Supernova-Explosionen aufgeheizte und hochionisierte Scheibengas kann in den Halo entweichen. Dort kühlt es ab und wird wieder neutral. Die so gebildeten kühlen, neutralen Wolken fallen auf die Scheibe zurück. Dieser Kreislauf heisst die galaktische Fontäne.
(Zeichnung KSdB)

Zeichnung galaktische Fontäne

Kühlung, Verdichtung, Molekülbildung, Sternentstehung

Wenn Kühlungsprozesse etwa in kinematisch und energetisch ruhigen Zonen im ISM überwiegen, werden Wolken sich verdichten und es können neue Sterne entstehen. Aber auch in dynamisch sehr bewegten und dichten Gebieten mit durch Supernova-Explosionen ausgelösten Schockwellen kühlt das Gas ab und rekombiniert. Der Druckausgleich mit der heisseren Umgebung verdichtet das kalte Gas. Dann werden auch die vorhandenen Staubteilchen in Begegnungen zusammenkleben. Auf der Oberfläche dieser Teilchen wird erneut aus atomarem Wasserstoff molekularer Wasserstoff (H2) gebildet (siehe Resultate der ORFEUS-Mission zu Messdaten über H2). Dadurch werden die Sequenzen der gas-chemischen Reaktionen wieder in Gang gesetzt. Mehr als hundert verschiedene Arten von Molekülen wurden bisher im ISM nachgewiesen. Darunter befinden sich Moleküle, die sich aus mehr als einem Dutzend Atome zusammensetzen. Die komplexe Struktur und Dynamik der Molekülwolken lässt vermuten, dass hier noch viele wichtige Prozesse unbekannt sind.

Pferdekopfnebel (VLT)
 

Der sogenannte Pferdekopfnebel im Sternbild Orion ragt aus einer großen Dunkelwolke (unten) heraus. Er zeigt uns, wie eine dichte Wolke das Licht von Hintergrundgas und -Sternen abschattet. In solchen dunklen Wolken befinden sich Staubteilchen, die in der kalten Umgebung verkleben und anwachsen. Auf der Oberfläche der Staubteilchen bilden sich H2 Moleküle, wodurch die Verdichtung des Gases fortschreitet. Solche Wolken werden undurchsichtig und in den dunkelsten und kühlsten Gegenden können Sterne entstehen. Im Pferdekopfnebel sind mit Radioteleskopen auch verschiedene Moleküle nachgewiesen worden.
(Aufnahme ESO, VLT: VLT KUEYEN mit FORS2)

Zusammenfassung der Prozesse   -   die Kreisläufe

Die vielen verschiedenen Prozesse, die im ISM auftreten und zu den verschiedenen Kreisläufen führen, können im folgenden Diagramm zusammengefasst werden.

Zirkulationsskizze
Zirkulationsprozesse

Es gibt gewissermaßen 3 Kreisläufe:
- Der physikalische Kreislauf des IS-Gases von Kühlung und Verdichtung bis hin zur Molekülbildung, gefolgt von Aufwärmung, Dissoziation und Ionisation.
- Der räumliche Kreislauf der Strömung aus der Scheibe in den Halo hinein und wieder zurück, die galaktische Fontäne.
- Der materielle Kreislauf von Gas des ISM in Sterne hinein und die Rückgabe an das ISM von erheblichen Gasmengen am Ende des Sternlebens.

Noch viel Unverstandenes

Wie dichte Molekülwolken entstehen, was die Ursache ihrer klumpigen Unterstruktur ist, wodurch die Turbulenz in Molekülwolken und im ganzen ISM getrieben wird und wie die Entstehung von Sternen, Planeten und Kometen im Detail abläuft, ist bis heute aufgrund der großen Komplexität nicht geklärt. Andererseits ist das Verständnis dieser im ISM ablaufenden Prozesse die fundamentale Grundlage für das Verständnis vieler anderer Bereiche der Astrophysik. Dazu gehören die chemische Entwicklung des Universums, die Entstehung der Vielfalt der Galaxienmorphologie, die Erzeugung des intergalaktischen Mediums, die Entstehung und Entwicklung von Quasaren und aktiven galaktischen Kernen mit zentralen schwarzen Löchern.

3. Messungen an dem ISM

Das ISM kann in vielen Wellenlängenbereichen beobachtet werden und für ein gutes Verständnis ist das auch notwendig. Die beobachtbaren Phänomene und die neuesten Messgeräte sind:
Gamma-Bereich: die Interaktion von Kosmischer Strahlung mit den dichten Molekülwolken (z.B. Satelliten CGRO)
Röntgenbereich: die Strahlung heisser Gase sowie deren Abschattung durch kaltes Material (z.B. die Satelliten ROSAT, Chandra, und XMM)
Fern-UV: die wichtigen Absorptionslinien von H2 und von O5+ (z.B. die Satelliten ORFEUS und FUSE)
UV: die Absorptionslinien vieler Metalle und des CO (z.B. die Satelliten IUE und HST)
optisch: die klassischen Absorptionslinien, die Emissionslinien aus Gebieten ionisierten Gases und die diffusen Absorptionsbänder
Nahes Infrarot: Emission von H2 und Absorptionsstrukturen des interstellaren Staubes (z.B. VLT-Instrumente des ESO)
Ferneres Infrarot: die breitbandige Emission des Staubes und wichtige Feinstruktur-Emissionslinien vom kühlen Gas (z.B. die Satelliten IRAS, ISO, und das Flugzeug SOFIA)
Sub-mm- und mm-Bereich: viele Emissionslinien von Molekülen (z.B. mit HHT, KOSMA, oder dem in der Planung befindlichem ALMA sub-mm Array auf der Chajnantor Hochebene in Chile)
Radiobereich generell: die Kontinuumsemission heisser Gase und der Synchrotronmechanismus
mm- und cm-Bereich speziell: Emission einfacher Moleküle sowie von atomarem Wasserstoff (z.B. mit dem Effelsberg Radioteleskop)

Auch Laborexperimente können zum Verständnis des interstellaren Materials beitragen. Sie umfassen die Untersuchungen an Molekülen, um deren spektroskopische Eigenschaften zu bestimmen, sowie die an Material, das im Labor unter Bedingungen erzeugt wird, die denen im ISM nahekommen und das dem interstellaren Staub ähnelt.


Weitere Literatur:
de Boer K.S., 1995, Satelliten vertiefen das Verständnis über das interstellare Gas, in Astronomie+Raumfahrt Band 29, Seite 32-35
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Autor: K.S. de Boer       Sternwarte, Universität Bonn, Auf dem Hügel 71, D-53121 Bonn
mail to: deboer@astro.uni-bonn.de
Veröffentlicht am 3.03.2000 im Jahr der Physik (www.physik-2000.de)
im Projekt Physik des Monats (www.astro.uni-bonn.de/~deboer/pdm) als
www.astro.uni-bonn.de/~deboer/pdm/pdmismtxt.html
Anpassungen am: 2000.04.05, 2000.11.09, 2001.12.05, 2002.03.05, 2004.08.08
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