Nobelpreis Physik 2017 - Schwerkraftwellen
Klaas S. de Boer, Argelander Institut für Astronomie, Univ. Bonn
Herbst 2015 geschah es: zum ersten Male wurden Schwerkraftwellen detektiert. Die Wissenschaftler des Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO) brauchten bis Februar 2016, bis sie dies weltkundig machten. Sie wollten absolut sicher sein, dass alles seine Richtigkeit hatte.
Um zu verstehen, wie Schwerkraftwellen detektiert wurden,
soll einiges an Hintergrundwissen erklärt werden.
Es handelt sich um:
1. Schwerkraft, Raum-Zeit, Potentialtopf,
2. das Wichtigste zu Sternentwicklung, speziell bei Doppelsternen,
und
3. Erzeugung von Schwerkraftwellen.
1. Schwerkraft, Raum-Zeit, Potentialtopf
Schwerkraftwellen sind alt. Erstens, da die detektierten Wellen von ganz weit im Universum kommen, sie haben eine lange Reise zurückgelegt. Aber das kommt später. Zweitens, die Idee der Schwerkraftwellen kam von Einstein und die Idee ist nun 100 Jahre alt. Er kombinierte, im Jahr 1916, seine Relativitätstheorie von 1914 mit einer Idee von Schwarzschild von 1916. Schwarzschild hatte sich überlegt, wie das Schwerkraftfeld um eine fiktive Punktmasse (um einen sehr kompakten Stern) aussehen würde, wenn Einsteins Relativitätstheorie mit einbezogen würde. Schwarzschild folgerte, dass, wenn die Oberfläche eines Sterns (oder von irgendeinem Objekt) eine sehr starke Schwerkraft hätte, Licht nicht von dessen Oberfläche entweichen kann. Ein derartiges Objekt sollte dann unsichtbar sein. Es wäre ein schwarzer Punkt am Himmel, da auch das Licht aus der Umgebung durch das starke Schwerefeld hineingezogen werden würde.
Als Einstein seine allgemeine Relativitätstheorie entwickelte,
entdeckte er eine neue Art der Beschreibung der Schwerkraft.
Er sah, dass es keine Kraft sei, wie Sir Isaac Newton postuliert hatte,
sondern dass
Schwerkraft eine Folge ist von der Verzerrung von Raum und Zeit,
Raum und Zeit bilden ein enges Geflecht, die "Raum-Zeit".
Objekte verzerren das Gewebe der Raum-Zeit wegen deren Masse:
schwere Objekte haben einen großen Effekt.
Wenn ein Objekt die Raum-Zeit verzerrt, wie sollen wir uns das vorstellen? Eine mathematische Beschreibung ist einfach, wenn man sich auskennt. Grafisch benutzt man eine Analogie. Stellen wir uns eine elastische Ebene vor, worauf ein rechteckiges Muster angebracht ist. Ein Objekt auf dieser Ebene wird wegen seines Gewichts (Schwerkraft) die Ebene verformen, das Objekt erzeugt eine Delle. Das rechteckige Muster wird verzerrt, es ist gedehnt auf das Objekt zu. Wenn wir versuchen, uns dies in 3 Dimensionen vorzustellen, so schlägt das fehl, wir haben keine Erfahrung mit 3-dimensionalen Verzerrungen. Die Analogie mit einer Plane ist allerdings eine gute, sie zeigt das Objekt als eine Murmel in ihrer Mulde. Dies führte zum Konzept der "Schwerkraftmulde", sie wird "Potentialtopf" genannt.
Wie alle wissen, wenn eine Murmel mit ausreichender Geschwindigkeit in Richtung einer Mulde geschubst wird, kann sie in die Mulde eintauchen und wenn sie wieder herauskommt, ist das meistens in eine andere Richtung als die ursprüngliche. Wenn eine Murmel in einer Mulde herumkreist, bleibt sie auch drin. Im 3-dimensionalen Raum wirkt das alles genau so. Die zweite Zeichnung (nicht skalengetreu) zeigt, wie man sich die Erde in dem Potentialtopf der Sonne vorstellen kann. Und selbstverständlich, die Erde hat ihren eigenen Potentialtopf (wie gezeichnet), worin der Mond seine Bahnen dreht!
Nun machte Einstein einen großen Sprung. Er sagte, Licht geht nicht geradeaus, da die Schwerkraft es ablenkt.... wenn man klassisch denkt. Aus der Warte der Relativitätstheorie gesehen hat Licht schon eine gerade Bahn, aber die Raum-Zeit ist gekrümmt. Sodass, klassisch gedacht, wenn man direkt am Rand der Sonne vorbeischauen würde, man feststellen müsste, dass die Sterne dort nicht an ihrer vertrauten Position stünden. Dies nun wurde während einer Sonnenfinsternis bestätigt. Es machte Einstein berühmt, auch bei Aussenseitern.
Das alles führte zu folgendem Gedanken. Da ein sehr schweres Objekt einen sehr tiefen Potentialtopf hat (fast ein Topf mit Bodenloch) so dass Licht nicht entweichen kann, muss dieses Objekt als schwarz erscheinen. Ein derartiges Objekt wurde Schwarzes Loch genannt. Dieser Name wurde allerdings später erdacht, von Wheeler in den 1940er Jahren, aber er wurde sofort populär.
Ein schwarzes Loch ist ein Objekt in einem sehr tiefen gravitativen
Potentialtopf, |
2. Notwendiges zu Sternentwicklung
Sterne gibt es in verschiedenen Größen und sie setzen
unterschiedliche Lichtmengen frei.
Sie entwickeln sich gemäß deren Anfangsmasse.
Fünf vereinfachte Beispiele:
1. Sterne mit sehr wenig Anfangsmasse bleiben schwach; am Ende
ihres Lebens erlöschen sie.
2. Sterne mit wenig Masse (wie die Sonne) entwickeln sich auf
eine helle und kurze Phase mit großer Expansion hin,
wobei sie ihre äusseren Schichten wegblasen,
um dann zu schrumpfen zu einem kompakten "Weissen Zwerg".
3. Sterne mittlerer Masse werden später hell und ausgedehnt
werden, sie blasen einen Teil der äußeren Schichten weg und dann
explodieren sie, sie werden zu "Supernova".
Ein kleiner, sehr dichter "Neutronenstern" ist alles,
was übrig bleibt.
4. Sterne mit sehr viel Anfangsmasse entwickeln sich schnell.
Wenn diese explodieren und "Supernova" werden,
bleibt ein sehr kompakter und schwerer "Neutronenstern" zurück,
der, falls mit genug Masse, auch schwarzes Loch ist.
5. Viele Sterne fangen ihr Leben als Pärchen an, ein
"Doppelstern".
Sie kreisen um einander in ihren überlappenden Potentialtöpfen.
Diese Sterne sind wichtig für die Entstehung von Schwerkraftwellen.
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Doppelsterne umkreisen sich in einem gemeinsamen Potentialtopf (Bild; de Boer+ 2008). Sind sie nah an einander, so wird der Überlapp der Potentialtöpfe die Entwicklung der Sterne stark beeinflussen. Wenn einer der Sterne sich ausdehnt und äußere Schichten wegbläst, wird ein Großteil dieses Materials (wenn nicht alles) über den Sattel des Topfes zum anderen Stern hin fließen, wodurch der massereicher wird. In Abhängigkeit beider Anfangsmassen wird dies im Laufe der Entwicklung zu einem Wechselspiel von Masseaustausch führen. Bei jedem Massenaustausch wird die Entwicklung jedes Sterns anders, wodurch die Modellierung socher Systeme aufwendig ist. Zwei Beispiele zur Entwicklung von Doppelsternen sind in den folgenden Abbildungen gegeben.
Bei Doppelsternsystemen gibt es unzähligen Variationen. Die Sterne werden unterschiedliche Masse haben und ihren anfängliche Separation kann sehr verschieden sein. Selbstverständlich werden engere Paare mehr Interaktion haben. Wenn beide Sterne eine große Anfangsmasse haben, kann dieses System, nach Entwicklung mit viel Austausch von Materie, zu einem Paar werden mit einem schwarzem Loch, vielleicht sogar mit zwei, wie im Beispiel von Marchant et al. (2017).
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Ein letztes Faktum ist wichtig. Die Sterne umkreisen sich und üben auf ihren gegenseitigen Gase eine Schwerkraft aus. Dies verursacht Reibung, die als Wärme verloren geht, so dass das System an Energie verliert. Das hat zur Folge, dass die Zwischendistanz der Sterne kleiner wird. Ein Doppelsternsystem wird daher mit der Zeit enger, die beiden Sterne gehen auf einander zu. Allerdings, wenn beim Wegblasen der äußeren Gase dem System Materie verloren geht, z.B. bei der Supernovaexplosion oder in "polaren Jets" (siehe das schwere Beispiel; Marchant et al.), wird die Bahn geräumiger, die Bahnperiode länger.
3. Erzeugung von Schwerkraftwellen
Alle Wellen pflanzen sich fort. Wenn man einen Stein in einen Teich wirft, entsteht eine Welle am Einschlagpunkt.
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Ein sich auf dem Wasser leicht bewegendes Objekt
verursacht ähnliche Wellen,
außer dass die Welle höher ist in Richtung der Bewegung
(als in der Gegenrichtung).
Wenn zwei Objekte sich umeinander bewegen, wird ein
kompliziertes Wellenmuster erzeugt, wobei sich die individuellen Muster
überlappen.
Und wenn solche Objekte sich schnell bewegen, werden die Wellen
höher und werden die Zwischenräume kleiner,
das Muster wirkt sehr unruhig.
Nehme nun das Muster des Potentialtopfs (siehe oben), und lasse es rotieren. Dies wird Wellen im Raum-Zeit-Gewebe generieren. Das ist ganau, was zwei um einander kreisende schwarze Löcher tun.
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Genau dies war die Idee, die Einstein hatte. Die von zwei sich zwangsläufig sehr schnell umkreisenden schwarzen Löchern erzeugten Schwerkraftwellen werden sich ausbreiten, die Höhen werden mit zurückgelegtem Weg niedriger werden. Da die Zwischendistanz der Objekte kleiner wird (wegen des gegenseitigen Reibungsverlustes), wird die Bahnperiode kürzer, der Wellenrhythmus schneller, die Geschwindigkeit der Objekte größer, werden die Objekte "einkreisen", die generierte Welle wird immer stärker....
4. Schwerkraftwellen detektieren
Über die Jahrzehnte haben Wissenschaftler sich überlegt, ob Schwerkraftwellen je detektierbar werden würden. Ihre Effekte auf das Gewebe der Raum-Zeit wären wohl minimal. Aber als Laser entwickelt wurden, leuchtete allen sofort ein, diese in einer Interferometrie-Anlage zur Detektion einzusetzen.
Das Prinzip des LIGO Interferometers. |
Erste Experimente wurden in den 1970er Jahren am MIT gemacht. Andere Gruppen zogen nach. Verschiedene Forschergruppen bauten Prototypen zur Detektion von Schwerkraftwellen mit Interferometrie, darunter das GEO600 nahe Hannover (Deutschland). Letztendlich kooperierten viele Gruppen zum Bau des Laser Interferometer Gravitational-Wave Observatory (LIGO). Die Laser für LIGO wurden bei GEO600 hergestellt.
Das Prinzip von LIGOs Funktionsweise ist im Bild erklärt. Alle Elemente eines Interferometers müssen äußerst sorgfältig positioniert werden. Jede Störung (Erdbeben, Stürme, lokaler Verkehr,....) kann eine stabile Interferenz zerstören. Dazu kommt, dass der Lichtweg vom Laser zum Spiegel sehr lang sein muss um Schwerkraftwellen überhaupt detektieren zu können. Daher laufen die Lichtbündel durch etwa 4 Kilometer lange geschlossene Röhren in verlassenen Gegenden der USA. Die Aufgabe, eine stabile Lage in zwei Röhren gleichzeitig zu erzeugen.....
Die LIGO Station im Hanford Reservat, Washington State, USA. Jedes den Lichtbündel schützendes Rohr ist 4 km lang. Rechts das gegen Norden gerichtete Rohr. Bilder von LIGO. |
Zwei Stationen wurden gebaut, eine im Hanford Reservat in Washington State, das andere nahe Livingston in Louisiana (siehe Karte; von Abbott+ 2016). Die Röhren (wegen der Interferometrie rechtwinklig angeordnet) dieser Stationen haben eine unterschiedliche Orientierung. Das erlaubt es, die Herkunftsrichtung einer Schwerkraftwelle grob zu bestimmen. Und mit zwei Stationen, wenn beide eine Welle detektieren, bestätigen sie sich gegenseitig und es liefert die doppelte Signalstärke. Weitere LIGO Stationen befinden sich im Bau.
Und dann geschah es. LIGO, das Anfang September 2015 mit neuen Lasersystemen aus Hannover ausgestattet worden war, lief noch in der Testphase. Alle Signale wurden unmittelbar auch nach Hannover übermittelt. Am 14. September 2015 traf eine Welle ein, zuerst in Livingston, nur 7 Millisekunden später in Hanford. In Hannover wurde das Signal als möglicherweise eine Schwerkraftwelle erkannt. Aber es war tiefe Nacht in USA. Man musste warten, bis die amerikanische Partner aufwachten. Bald wurde klar, die Signale aus Livingston und Hanford stimmten überein! Da die Signale mit nur 7 msek Zeitunterschied eintrafen, mussten sie von seitwärts der Linie Livingston-Hanford gekommen sein.
Die Wellen (das Dehnen und Schrumpfen der Raum-Zeit im Weg des Laserlichts) zeigen sich als Oszillationen in der Graphik (von Abbott+ 2016). Der Unterschied von 7 msek in der Ankunftszeit ist herausgenommen. Die Höhen der Welle treffen in Intervallen von grob 0.02 Sekunden ein. Danach werden die Intervalle kleiner und die Amplitude wird größer, wonach alles zur Ruhe kommt. Das ganze Geschehen dauerte kaum eine Sekunde.
Seitdem wurden drei weitere Schwerkraftwellen detektiert, einer von ihnen im neuen VIRGO Station in Europa.
Das Durchlaufen einer Schwerkraftwelle ist so etwas wie eine "Raumbebung", allerdings mit einem zeitlichen Ablauf umgekehrt von einem Erdbeben.
Der 2017 Nobelpreis für Physik wurde LIGO's drei lange führenden Forschern verliehen: Barry Barish und Kip Thorne am Caltech und Rainer Weiss am MIT.
16 Oktober 2017: LIGO/VIRGO Verschmelzende Neutronensterne.
References.
- Abbott, B.P. et al.
(LIGO Scientific Collaboration and Virgo Collaboration), 2016.
Phys. Rev. Lett. 116, 061102.
- de Boer, K.S., Seggewiss, W., 2008. "Stars and Stellar Evolution";
EdPSciences.
- Einstein, A., 1916. Sitzungsberichte der Königlich
Preussischen Akademie der Wiss. Berlin. part 1: 688–696.
- Marchant, P., Langer, N., et al., 2017. A&A 604, A55.
- Schwarzschild, K., 1916. Sitzungsberichte der Königlich
Preussischen Akademie der Wiss. Berlin; S.189ff.
- Wikipedia: https://en.wikipedia.org/wiki/Gravitational_wave
2017.10.14 nobel2017.html deboer@astro.uni-bonn.de